Technikgeschichte - ein Leitfaden
Technikgeschichte in ihrer jetzigen Form gehört zu den jüngeren historischen Teildisziplinen. Als institutionalisierte Wissenschaft entstand sie allerdings bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem ingenieurwissenschaftlichen Kontext. Ingenieure hatten sich zu dieser Zeit um gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit als „Kulturleistung“ bemüht und die Geschichte der Technik als ein Instrument hierfür entdeckt. Unterstützt wurden diese Bemühungen vom Verein Deutscher Ingenieure. Weitere Impulse für eine Technikgeschichtsschreibung kamen aus der Soziologie und der Historischen Schule der Nationalökonomie, vor allem von Werner Sombart und Joseph Schumpeter, die sich mit Technik als Teil von „Wirtschaftssystemen“ und mit Innovationsprozessen beschäftigten.
Die frühe Technikgeschichte stellte vornehmlich eine „internalistische“ Beschreibung technischer Entwicklungen dar und war an den Technikwissenschaften orientiert. Seit den 1970er entwickelte sie sich in Deutschland zu einer historischen Disziplin. Entscheidend für diesen Prozess war unter anderem die 1975 erschienene Publikation „Moderne Technikgeschichte“ von Karin Hausen und Reinhard Rürup, mit der sich die Technikgeschichte der Gesellschaftsgeschichte und den Sozialwissenschaften annäherte. Diese neue „Sozialgeschichte der Technik“ stellte die Idee des technischen Forschritts als Leitmotiv der Forschung grundsätzlich in Frage.
Seitdem wird Technikgeschichte in enger Verflechtung und vielfältigen Überschneidungen mit anderen historischen Teildisziplinen betrieben, wie etwa der Alltags- und der Konsumgeschichte, der Stadt- und der Umweltgeschichte und der Genderforschung. Die Verbindungen zur Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte sowie zur Sachkulturforschung der Volkskunde waren dagegen von jeher eng. In jüngster Zeit lässt sich eine Hinwendung zu kulturgeschichtlichen Ansätzen verzeichnen, womit weitere Überschneidungen zu den Kulturwissenschaften entstanden sind.
Ihre Relevanz erfährt die Technikgeschichte aus der technischen Prägung unserer Kultur. Ihr Ziel ist die Analyse kultureller und gesellschaftlicher Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen von Technik. Dabei beschäftigt sich die Technikgeschichte mit der materiellen Kultur und nimmt daher, stärker als andere historische Disziplinen, auch Objekte in den Blick. Sie untersucht die Entstehung, Entwicklung und Durchsetzung von Artefakten und komplexen Sachsystemen. Sie erforscht technische Handlungen von Akteuren und die hierfür benötigten Wissensformen sowie den Gebrauch und die Aneignung von Artefakten durch NutzerInnen in allen Lebensbereichen. Technikhistorisches Wissen stellt somit einen zentralen Beitrag zur Orientierung in unserer von Technik geprägten Gegenwart dar.
Autorinnen: Prof. Dr. Martina Heßler, Dr. Anne Sudrow und Dr. Heike Weber im Mai 2006, aktualisiert im Dezember 2012