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Das Dresdner Konzept zur Genese technikwissenschaftlicher Disziplinen - eine Bilanz

Thomas Hänseroth, Klaus Mauersberger

Die in Dresden begründete Forschungsrichtung »Geschichte der Technikwissenschaften« entstand unter DDR-Verhältnissen als ein an die Namen Buchheim und Sonnemann gebundenes kollektives Projekt. Es basiert auf dem Konzept der Disziplingenese, wie es vor allem in der Wissenschaftsgeschichte, namentlich durch Stichweh, Guntau und Laitko, entwickelt wurde und Verbreitung gefunden hat. Kernpunkt ist ein weitgefaßter Disziplinbegriff, der als gegenstandsorientiertes System wissenschaftlicher Tätigkeit gleichermaßen die Produktion und Reproduktion von Wissen als sozialen Prozeß, also auch Organisationsstrukturen und institutionelle Aspekte, erfaßt. Mit diesem Konzept war ein relativ offenes System vorgegeben, gewissermaßen eine Theorie mittlerer Reichweite, welche sich durch Langfristigkeit, Systematik und Komparativität auszeichnete. Eine solche Basis auszuloten und auf die vergleichsweise große Komplexität der Technikwissenschaften anzuwenden, hieß, vergleichende Studien zu den unterschiedlichen technikwissenschaftlichen Disziplinen zu erarbeiten sowie allgemeine Tendenzen, aber auch disziplinäre Unterschiede herauszustellen. Ziel war die Suche nach allgemeinen Strukturmerkmalen und Bildungsprinzipien in der Herausbildung der Technikwissenschaften (nicht der Technik ). Mithin wird die Genese von Wissenschaft in der Einheit und Wechselwirkung kognitiver und sozialer Faktoren begriffen.

Im Zuge der mit der Wiedervereinigung Deutschlands einhergehenden Neustrukturierung der ostdeutschen Hochschullandschaft war diese Forschungsrichtung bald wichtiger institutioneller Grundlagen beraubt. Angesichts der zusammengeschmolzenen personellen Basis konnte an die direkte Fortsetzung eines so breit angelegten Forschungsprogramms nicht gedacht werden. Trotz aller Einschnitte ist ein beschränktes Fortführen der durchaus anerkannten Traditionslinie ins Auge gefaßt worden. Die an der TU Dresden als selbständiges Institut für Geschichte der Technik und Technikwissenschaften fortbestehende ehemalige Leiteinrichtung wird zwar ihre Rolle als »Zentrum« nicht weiterführen können und wollen, Impulse für weitere gemeinsame Vorhaben sollen von hier aber allemal ausgehen. Hierzu zählt in erster Linie eine Bestandsaufnahme der ehemals Beteiligten, wie sie in Zeiten tiefer Umbrüche besonders geboten erscheint. Auf dem Prüfstand mehrerer dieser Problematik gewidmeter Workshops und Forschungsseminare stand dabei vor allem die konzeptionelle Basis einer Genese technikwissenschaftlicher Disziplinen.

Neben dem, durchaus kritischen, Hinterfragen des Konzeptes geht es bei diesem Selbstverständigungsversuch vor allem um die klare Analyse der bisherigen Ansätze und Ergebnisse, die Herausarbeitung der Potenzen, aber auch der Grenzen des Konzeptes, die Bestimmung wesentlicher Desiderata sowie die Einordnung in die indessen an Zahl und Vielfalt zugenommenen Ströme der Wissenschafts- und Technikgeschichtsschreibung bzw. um die notwendige Abgrenzung gegenüber benachbarten Richtungen.

Zu den Spezifika einer Geschichte der Technikwissenschaften zählt, daß der grundlegende Terminus Technikwissenschaft gleichermaßen eine Abgrenzung zur Technik und zu den Naturwissenschaften impliziert. Das heißt, die traditionell vertretene Gleichsetzung von sogenannten »angewandten Naturwissenschaften« und Ingenieurwissenschaften geht in die Irre. Als eigenständiger Wissenschaftszweig stehen die Technikwissenschaften für die Antizipation, Erzeugung, Nutzung und Erhaltung von Technik. Als »sciences of doing« genießt das know how Priorität gegenüber dem know why. Entsprechend ist die Genese einer technikwissenschaftlichen Disziplin zu unterscheiden von dem, was landläufig in der Technikgeschichte unter Verwissenschaftlichung von Technik verstanden wird. Wissenschaft und Technik sind jeweils spezifische Bereiche menschlicher Tätigkeit, die sich hinsichtlich ihrer Ziele und der dafür eingesetzten Mittel unterscheiden. Beider Wechselwirkungen sind daher äußerst komplex. Dies spiegelt sich bereits in Periodisierungsfragen wider. Der verwendete Periodisierungsansatz folgt den genannten Eigenheiten und gehorcht in erster Linie wissenschaftshistorischen Kriterien und nicht etwa denen einer Wirkungsgeschichte von Wissenschaft auf Technik. Er bildet mithin einen flexiblen Rahmen zur Strukturierung von Wissenschaftsentwicklung, der genügend Freiraum für typologische Besonderheiten der Einzeldisziplinen zuläßt.

In summa zählt zu den Prämissen einer solcherart betriebenen Disziplingenese vor allem die Beachtung des kognitiven Momentes, dessen Hauptelemente - theoretisches Grundgerüst, empirische Basis und Methodenarsenal - sich selbstverst»ndlich im Kontext mit den sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen entfalten und daher letztlich auch, aber keineswegs ausschließlich, sozial konstruiert sind.