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Diskursanalyse als Brückenschlag zum "Technikverständnis" vormoderner Epochen

Marcus Popplow

Unter dem »Technikverständnis« vormoderner Epochen werden gewöhnlich positive oder negative »Einstellungen« zu Technik verstanden. Solche grundlegenden Einstellungen wurden insbesondere als Hintergrund der technischen Leistungen des Mittelalters zu rekonstruieren versucht. Dabei halfen auch Texte wie die Klassifizierungen der artes mechanicae, den früheren Vorwurf einer ablehnenden Haltung des Mittelalters zu Technik zu relativieren.

Schriftliches Quellenmaterial auf diese Weise als Sprungbrett in die Mentalität der Zeitgenossen zu nutzen, ist jedoch problematisch. Der methodische Stolperstein liegt darin, daß der Sammelbegriff »Technik« in der modernen Form erst seit Ende des 19. Jahrhunderts existiert. Auch wenn vorangehende Epochen aus unserer Sicht ständig mit Technik umgingen - konnte es allgemeine Haltungen zu »Technik« geben, wenn dieser Begriff noch gar nicht zur Verfügung stand?

Dieses erkenntnistheoretische Problem soll hier nicht vertieft werden. Es bietet jedoch Anlaß genug, eine Fragestellung vorzuschlagen, die das Quellenmaterial weniger auf den modernen Technikbegriff hin interpretiert: Zu analysieren wäre demnach, mit welchem zeitgenössischen sprachlichen Instrumentarium Autoren dieser Epochen generalisierende Bemerkungen zu dem Bereich machten, den wir heute unter »Technik« verstehen. Daran anschließend wäre zu fragen, in welchen Kontexten es ihnen überhaupt geboten schien, über situationsgebundene Kommentare hinaus solche allgemeinen Feststellungen zu treffen.

Die hier anklingende Skepsis gegenüber der historischen Konstanz moderner Allgemeinplätze zu »Technik« gründet sich auf einer Analyse des Maschinenbegriffs im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Demnach entstand der uns vertraute Sammelbegriff erst Mitte des 16. Jahrhunderts für Mühlwerke und andere Mechanismen, nachdem das Wort vorher vor allem statische Gerüstkonstruktionen bezeichnet hatte. Mit diesem neuen sprachlichen Zugriff wurde auch erstmals die Feststellung des gesellschaftlichen Nutzens der Handwerke explizit auf den Bereich technischer Hilfsmittel selbst übertragen. Entscheidender Auslöser für diese neue Bedeutung und Verwendung des Maschinenbegriffs waren die durch den Buchdruck umgestalteten Kommunikationsbedingungen.

Derartige quellenkritische Diskursanalysen zeigen, daß ein verallgemeinerndes Schreiben über Technik eine eigene Geschichte hat, die weder mit mentalen Einstellungen gleichzusetzen ist, noch dem »Stand der Technik« entspricht. Mit ihrer Hilfe lassen sich daher neue Verbindungslinien zwischen Technik- und Geistesgeschichte ziehen.