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Grundzüge der Entwicklung der Technikhistoriographie in Deutschland nach 1945

Wolfhard Weber

In den ersten Jahren nach 1945 war von der Vorkriegs-Technikhistoriographie in Deutschland nichts übriggeblieben außer einigen wenigen Personen, die aber sämtlich nicht an Universitäten tätig waren. Der VDI war in Berlin wirkungslos; das Leben der für die Technikgeschichte maßgebenden wissenschaftlichen Gesellschaften kam nur langsam in Gang; erst durch die Denkschrift von 1958 und die Initiative des Wissenschaftsrates kam im Westen Bewegung in den Wissenschaftsapparat, technikgeschichtlichen Nachwuchs auszubilden; allein die Leiterstelle der Bibliothek des Deutschen Museums, die von Friedrich Klemm eingenommen wurde, widmete sich der Technikgeschichte.

Die größten Anstöße zur Veränderung kamen nach 1945 zunächst aus der DDR: In Dresden gründete der Sozialdemokrat, ehemalige Technokrat und Professor für soziale Arbeitswissenschaften Richard Woldt 1952 das Institut für Technik- und Naturwissenschaftsgeschichte. Nach Jahren erhielt es in Alfons Kauffeldt einen Leiter, der sich bald heftigster Kritik aus Leipzig durch Gerhard Harig und aus Berlin durch Jürgen Kuczynski ausgesetzt sah. Da die zahlreichen Mitarbeiter nicht den gewünschten Erfolg zeitigten und die Hochschulreform die Ideologisierung des Studium Generale durchsetzte, wurde das Dresdener Institut Ende 1963 aufgelöst. Geschichte der Produktivkräfte trat auf den Lehrplan. Erst nach 1979 wurde dort dann im Gefolge der proklamierten wissenschaftlich-technischen Revolution Technikgeschichte in der Form der Geschichte der Technikwissenschaften installiert.

Die Technikhistoriographie wurde im Westen trotz des Hinweises auf das Dresdener Institut nicht in der von der DFG empfohlenen Weise umgesetzt. Die Länder wollten nicht eine vor allem Bayern zugute kommende Einrichtung eines Zentralinstituts für Technikgeschichte fördern. Ausgangspunkt der Gründungsbewegung waren die Wirtschafts- und Sozialhistoriker, denen Werner Conze 1957 die Anregungen mit auf den Weg gegeben hatte.

Nun zu den erkennbaren Fragestellungen heute, zu Methoden und Inhalten: Beide sind nicht unabhängig voneinander; unumstritten gibt es die biographischen und die institutionengeschichtlichen Arbeiten.

Arbeiten über technische Denkmäler wie über den Verkehr, allerdings mit geringen sozialgeschichtlichen Aspekten, stoßen in Deutschland auf ein hohes Maß an populärem Interesse. Branchenstudien etwa über die Eisen- und Stahlherstellung oder über Atomkraftwerke und solche über technische Einrichtungen etwa zur Kontrolle der Sicherheit, der Normsetzung usw. verbinden sich sowohl mit den ökonomischen wie auch den politischen Begleitumständen. Aktuelle politische Probleme werden deutlich in Studien zur Frauenarbeit und zu Umweltfragen angesprochen. Sie unterstreichen besonders, zu welch hohem Anteil Geschichte als historische Sozialwissenschaft verstanden wird. Die erhellendsten Arbeiten kommen aus der Analyse von umfänglichen technischen Systemen.

Über die hier genannten Inhalte hinaus geht es in der Literatur aber auch stets um Grundkonflikte, die sich als kontroverse Punkte durch die Disziplin hinziehen und von denen zu hoffen ist, daß sie bald kontroverser Gegenstand der 1990 gegründeten Gesellschaft für Technikgeschichte werden. Dazu zähle ich den andauernden Streit zwischen der Fachkompetenz des Ingenieurs/Technikers und der des Historikers. Die wenig entwickelte Einsicht in die Bedeutungsfelder der verwendeten Begriffe Technik und Geschichte zählt ebenfalls dazu. Technikhistorie ist immer zugleich auch Antwort auf unter bestimmten Fragen verarbeitetes Geschehen.

Daher sind Wünsche, die gelegentlich (von Ingenieurseite) vorgetragen werden, man möge technische Entwicklungen »unvoreingenommen« historisch untersuchen, ideologisch bereits erheblich vorbelastet. Es geht in der Technikhistoriographie um Technik, die erdacht, entwickelt, produziert und benutzt wird. Doch die Untersuchungen, die mit quantitativen Methoden eine nähere Definition des Fortschritts suchten, bargen auch Risiken in sich. Es wird sich also noch erst zeigen müssen, ob Technikgeschichte in dieser Form einer modernen historischen Sozialwissenschaft an den Technischen Universitäten/Hochschulen ein fruchtbarer Weg zur Entfaltung der Disziplin ist.