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Zukunftsvisionen. Die Großforschungsprojekte in der DDR 1968-1971

Agnes Charlotte Tandler

Technische Großprojekte als eine spezielle, interdisziplinäre Form der Forschung und Entwicklung haben ihren Ursprung in den großen Kriegsprojekten des Zweiten Weltkriegs. Die V-2 Raketenentwicklung und das Manhatten-Projekt oder die Radarentwicklung gelten als klassische Beispiele. In der Nachkriegszeit begann sich der Fokus solcher Großprojekte auf zivile Nutzung zu verschieben. Die 60er Jahre waren geprägt durch einen ungebrochenen Fortschrittsglauben in die Entwicklung moderner Technologien, der seinen Niederschlag in einer Reihe sehr unterschiedlicher Programme fand: Raumfahrt, Hochgeschwindigkeitszüge, Atomreaktoren wie der schnelle Brüter und Computerentwicklung - um nur einige zu nennen.

Die DDR, durch ihre historische und politische Situation auf der Schnittstelle von Ost und West plaziert, hatte die Diskussionen in Westeuropa über die »technologische Lücke« in dieser Epoche aufmerksam beobachtet. Mit der Schließung ihrer Grenze zum Westen im August 1961 machte sich die politische Führung des Landes gleichzeitig daran, das Modell des modernen Industriestaats sozialistischer Prägung zu schaffen. Die DDR sollte einerseits attraktiv für die eigene Bevölkerung sein, aber andererseits auch ein Vorbild in Ost und West abgeben. Wissenschaft und Technik bekamen hierbei eine Schlüsselrolle zugewiesen. Der westlichen Entwicklung folgend, sollte sich die DDR auf die Entwicklung der Fortschrittsindustrien konzentrieren, um auf den Exportmärkten in Ost und West als konkurrenzfähige Alternative zu bestehen. Großforschungsprojekte und Großforschungszentren schienen ein Weg zu sein, mit überkommenen Forschungsstrukturen aufzuräumen, die sich durch kleine Gruppen, mangelnde Verbindung zur Industrie und einen gewissen Widerwillen zur Kooperation mit anderen Disziplinen und Instituten auszeichnete. Großforschung sollte besonders in den exportrentablen, modernen Industriezweigen wie Rechentechnik, Petro- und Kunststoffchemie, NC-Werkzeugmaschinenbau, Elektronik und Halbleitertechnik betrieben werden. Ideologisch stand bei der Großforschung auch der Traum vom Arbeiter-Forscher Pate, mit dem endlich ein neuer Typus der Forschung - weg von elitär-bürgerlichen Einrichtungen hin zur Praxis der Produktion - geschaffen werden sollte.

Ein wesentliches Problem der Großforschungsprojekte war allerdings, daß deren Anzahl ständig stieg, da jede Forschungsgruppe versuchte, in den exklusiven Kreis der bevorzugten Förderung aufgenommen zu werden. Auch konnten in einem Klima ungebrochener Euphorie die Projekte in einer Art Vorwegnahme der Modernisierung auf dem Papier nicht groß und kostspielig genug sein. Jede Institution, jeder Industriezweig und jede Forschungsgruppe versuchte, ihre Projekte als die Avantgarde der Zukunft zu verkaufen. Damit wurden Auswahlkriterien für die Projekte immer schwerer zu durchschauen, denn alle Beteiligten waren versucht, die verschiedensten Interessen und Bedürfnisse als Begründung ins Feld zu führen. Die möglichen Auswahlkriterien waren politisch oder ökonomisch orientiert und reichten von den Zwängen sozialistischer Zusammenarbeit zu internationalem Prestige oder schlichten Exporterwägungen. Noch in der Planungsphase der Großforschungsprojekte brachen eine Fülle widersprüchlicher Interessen in die Projektion ein, und schon bald mußte die Zentrale verdutzt feststelllen, daß eine Konzentration der Forschungsanstrengungen auf wenige erfolgreiche Projekte nicht zu leisten war. Es war wie im Märchen vom Wettlauf zwischen Hase und Igel. Kaum hatte der Partei- und Staatsapparat mühsam ein System ausgeklügelt, daß endlich eine rationale Planung und rigorose Kontrolle der Forschungsbemühungen durchsetzen sollte, so konnte er am Ende doch nur wieder feststellen, daß sich Forscher, Institute und andere wissenschaftliche Einrichtungen durch allerlei Allianzen, Strategien und Verbindungen schon wieder im gewohnten »Wie-Bisher« eingerichtet hatten.