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Frank Uekötter

Die Schnittstelle von technischem und juristischem Wissen als Kernproblem der Umweltgeschichte. Eine Neuinterpretation des Scheiterns der Rauchdebatte

Die Umweltgeschichte hat das Scheitern der Diskussionen über die sogenannte »Rauchplage«* im Kaiserreich bislang vor allem mit dem Widerstand der Industriellen und dem Desinteresse der Behörden zu erklären versucht. In meinem Vortrag unterziehe ich diese Interpretation einer empirischen und methodischen Kritik.
In empirischer Hinsicht vertrete ich die These, daß es einen systematischen Widerstand aus gewerblichen Kreisen nicht gegeben hat und die dominante unternehmerische Haltung zur Rauchbekämpfung vielmehr in der schlichten Indifferenz bestand. Methodisch zielt mein Referat auf eine Kritik des in der Umweltgeschichte bislang dominanten Konzepts einer dichotomischen Gegenüberstellung zweier Gruppen und des Versuchs, die Rauchdebatte als Konfrontation zwischen diesen beiden Fraktionen zu beschreiben. Vielmehr gab es im Kaiserreich einen breiten Konsens, daß die Rauchplage ein bekämpfungswürdiges und bekämpfungsbedürftiges Problem war - ein Konsens, dem sich im Grundsatz sogar die Mehrzahl der Unternehmer anschließen konnte. Die Rauchdebatte scheiterte daher nicht am Widerstand einer bestimmten Gruppe, sondern vielmehr daran, daß es nicht gelang, diesen Konsens politisch umzusetzen. Diese These wird am Beispiel einer Debatte in der preußischen Ministerialbürokratie in den 1880er Jahre illustriert. In dem Schriftwechsel zwischen dem Handelsministerium unter Bismarck und dem Innenministerium unter Puttkamer wird deutlich, daß beide eine Polizeiverordnung zur Rauchbekämpfung in Berlin befürworteten. Die Formulierung dieser Verordnung mißlang jedoch, da die Ministerialbeamten keinen Weg sahen, die Empfehlungen ihrer juristischen und technischen Experten miteinander zu vereinigen: Während der juristische Gutachter - ein Geheimer Oberregierungsrat - aus vollzugstechnischen Gründen für ein pauschales Rauchverbot plädierte, betonte die Technische Deputation für Gewerbe die Komplexität der Frage und forderte, bei der Formulierung der Bestimmungen die jeweiligen besonderen technischen Bedingungen des Einzelfalls zu berücksichtigen. Auch ein zweiter Versuch in den 1890er Jahren, technische und juristische Expertise durch die Gründung einer speziellen »Kommission zur Prüfung und Untersuchung von Rauchverbrennungs-Vorrichtungen« zusammenzubringen, scheiterte, da die technischen Experten die Verhandlungen der Kommission weitgehend monopolisierten und durch ihr Zögern, auch verwaltungsstrategische Fragestellungen in die Beratungen einzubeziehen, eine konstruktive Ergänzung der technischen und juristischen Perspektiven im Hinblick auf die praktische Rauchbekämpfung verhinderten. Insofern soll mein Vortrag über den Fall der Rauchplage hinaus auch zeigen, wie problembeladen der Austausch von technischen und juristischen Experten selbst bei grundsätzlicher Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer Problemlösung sein konnte, und richtet daher in methodischer Hinsicht an die Umweltgeschichte die Aufforderung, anstelle simpler dichotomischer Konstruktionen den konfligierenden Handlungsrationalitäten der Akteure in Umweltkonflikten mehr Beachtung zu schenken.

* Mit dem Begriff »Rauchplage« bezeichneten die Zeitgenossen die rauch- und rußhaltigen Emissionen, die bei der unvollständigen Verbrennung von Kohle entstanden und gemeinhin als das wichtigste Luftverschmutzungsproblem des Kaiserreichs galten.