Jürgen Büschenfeld
Gewässerbelastung durch die Kaliindustrie um 1900 - Eingrenzungsversuche und Grenzwertfindung im Rahmen eines "entgrenzten" Konfliktfeldes
Am Fallbeispiel einer abwasserintensiven Industriebranche in den Flußgebieten von Elbe und Weser lassen sich die Rahmenbedingungen für den gesellschaftlichen Umgang mit Gewässerverschmutzung als Folgeproblem von Urbanisierung und Industrialisierung besonders gut verdeutlichen und wasserhygienische Entwicklungen präzise nachzeichnen. Gleichzeitig können die besonderen Interessenlagen verschiedener Wassernutzer, die Ansprüche des Gewässerschutzes sowie die Regulierungsfunktionen des Staates einbezogen werden.
In den Streit um die salzhaltigen Abflüsse der Kaliindustrie, die sog. »Endlaugen«, waren Städtehygiene (Wasserversorgung), Landwirtschaft, Fischerei und andere Industriebranchen gleichermaßen involviert. Hier gewannen Grenzwerte nicht nur eine große praktische Bedeutung, sondern die zeitgenössische Kritik verwies gleichzeitig auf die Beschränkungen und Unzulänglichkeiten des Grenzwertkonzepts.
Die Verbindungslinien zwischen Trinkwasserversorgung und Kaliindustrie unterstreichen die »Entgrenzung« von Technikfolgen noch vor dem Ersten Weltkrieg. So legte etwa die Stadt Bremen im Streit um die biologisch nicht abbaubaren »Endlaugen« gegen jedes neue Konzessionsbegehren der Kaliindustrie im Wesergebiet Einspruch ein, auch wenn die Orte von Emission (z.B. Unternehmen in Sachsen-Weimar) und Immission weit auseinanderfielen.
Die Entsorgungspraktiken der Kaliindustrie hatten darüber hinaus erhebliche ökologische Folgewirkungen (Umwandlung von Süß- zu Salzwasserbiotopen), die bis heute spürbar sind bzw. sich erst heute in vollem Umfang auswirken. Ausgehend von ökonomischen Nutzungskonflikten um das Oberflächenwasser der Flüsse sowie den von der Hygiene dominierten Auseinandersetzungen um Wasser und Abwasser in kommunalen Zusammenhängen lenkt das Thema den Blick - entsprechend einer zentralen Forderung an die historische Umweltforschung - auf »unbeabsichtigte Langzeitwirkungen menschlichen Handelns, bei denen synergetische Effekte und Kettenreaktionen mit Naturprozessen« (Radkau) deutlich werden.