Günther Luxbacher
Die 1000 Stunden-Frage. Qualitäts- und Absatzpolitik elektrotechnischer Konsumgüter
Die Lebensdauer einer Glühlampe, des ältesten elektrotechnischen Konsumguts, ist mit 1000 Brennstunden festgelegt. Am Beispiel der Diskussion um den physikalischen, technischen und wirtschaftlichen Anteil beim Zustandekommen dieses internationalen Standards läßt sich die Genese einer Produkt- und Verbraucherpolitik in der elektrotechnischen Industrie herausschälen. Wie wird von den Marktteilnehmern die Güte von technischen Konsumgütern beurteilt, wie wird Wirtschaftlichkeit in komplexe Stückgüter „hineinkonstruiert“?
Parallel zu den bekannten Ausverhandlungsprozessen von Normierung und Typisierung lief insbesondere in der Elektroindustrie ab den 1890er Jahren eine Debatte um die angemessene Qualität elektrotechnischer Serienprodukte unter dem Signum „Glühlampenfrage“. Im ausnehmend komplexen, tief und gleichzeitig breit gestaffelten Produktionsprozeß addierten sich kleinste Abweichungen bei Rohstoffen, Einzelteilen und Fügeprozessen zu Produkten, deren Qualität und Zuverlässigkeit nicht nur erheblich schwankte, sondern obendrein auch nur sehr schwierig meßbar war. Großabnehmer wie Elektrizitätsversorgungsunternehmen forderten eine bestimmte Mindestlebensdauer und die Zuhilfenahme von Simulation und Wahrscheinlichkeitsrechnung beim Zustandekommen von Abnahmebedingungen. Als die Hersteller ein europäisches Kartell gründeten, reagierten die EVUs mit der Bildung von Einkaufsgenossenschaften und drohten vereinzelt sogar mit Eigenproduktion, um ihre Qualitätsinteressen durchzusetzen.
Selbst die größten Hersteller konnten bis in die zwanziger Jahre kein völlig schwankungsfreies Serienprodukt liefern. Erst mit neuen Lampenkonstruktionen, einem Weltkartell und der dadurch sinnvoll gewordenen Massenproduktion in den dreißiger Jahren setzten sich neue Qualitätskriterien durch. An erster Stelle stand die Festlegung einer Standardlampe, die so konstruiert war, daß die bis dahin übliche „Regenerierung“ unmöglich war.
Außerdem wurde die „Großzahlforschung“ (statistische Qualitätskontrolle) als Rationalisierungsinstrument in den Produktionsprozeß einbezogen, um möglichst alle Kenngrößen vorhersagbar und kontrollierbar zu machen. Erst dieses Instrument ermöglichte es den großen Herstellern, die Lebensdauer und damit die Folge von Ersatzinvestitionen, aber auch den Kampf gegen Billighersteller und Kartell-Außenseiter hinreichend genau zu planen. Während die EVUs die Lebensdauerpolitik allmählich stillschweigend akzeptierten, keimten kritische Fragen erst wieder bei Verbraucherorganisationen in den siebziger Jahren im Rahmen der „Obsoleszenzdebatte“ auf, in der die Glühlampe wieder als zentrales Beispiel für „eingebauten Verschleiß“ herangezogen wurde.
Ein weiteres Instrument der Produktpolitik bestand in der Übertragung von Konstruktions- und Produktionserfahrungen von der Lampen- auf die Radioröhrenindustrie, um in der neuen Branche weitgehend mit denselben Erfahrungen arbeiten zu können. Vor 1935 wurden fast alle Radioröhren in Deutschland nicht bei Telefunken, sondern bei Osram hergestellt.
Ein weiteres Mittel der Kartellteilnehmer zur Absatzsteuerung bestand in der Koordinierung des Zeitpunktes der Markteinführung von Innovationen wie der Doppelwendellampe oder der Leuchtstoffröhre.
Zusätzlich wurde der Markt durch konventionelle Werbung erweitert, aber auch durch neue Verkaufskonzepte, wie sie in Deutschland mit der „Lichtwirtschaft“ ab den zwanziger Jahren z.B. durch die Deutsche Beleuchtungstechnische Gesellschaft propagiert wurden. Die lichtwirtschaftliche Bewegung findet heute ihre Fortsetzung etwa darin, daß es der Industrie gelungen ist, Beleuchtungskörper an Brennstellen zu Aggregaten übergeordneter Produkte zu machen (z.B. Glimmlampen in Hi-Fi-Anlagen). Die Bereitschaftstellung elektrischer Geräte verschlingt heute etwa 5% des gelieferten Stroms in Industrieländern.