Markus Christen
Der Einbau von Technik in das Gehirn. Grenzziehung zwischen metaphorischer und exakter Information am Beispiel des Hörens
Die Neurowissenschaft versteht das Gehirn als informationsverarbeitendes System. Der Begriff "Information" wird dabei in der Regel unpräzise verwendet und steht für die Vielfalt von Stimuli, mit welchen das Nervensystem von Tieren oder Menschen bei Experimenten konfrontiert wird. Dieses metaphorische Verstandnis von "Information" ermöglicht es der Neurowissenschaft, den Aspekt der Bedeutung gewisser Stimuli für den fraglichen Organismus in die Betrachtungen einzuschliessen, ohne dass der dafür notwendige theoretische Kontext vorgegeben ist. Tatsächlich sind wesentliche Aspekte des neurowissenschaftlichen Informationsbegriffes ungeklärt, wie beispielsweise die Frage nach dem neuralen Code.
In technischen Kontexten hingegen, insbesondere in der Signalverarbeitung und der Informationstheorie, besteht ein klarer, von semantischen Aspekten gereinigter Begriff von Information. Dieses exakte Verständnis von Information - InformationE - ist für die moderne Neurowissenschaft in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Es ermöglicht erstens eine präzisere Untersuchung der Informationsverarbeitung im Nervensystem unter Einbezug der mathematischen Hilfsmittel der Informationstheorie. Zweitens schafft es die Voraussetzung für die Integration technischer Systeme - Sinnes- und Neuroprothesen - in biologische Systeme. Denn die "Informationswelt" von Technologie ist eine Welt der InformationE. Die Neurowissenschaft ist damit aber mit dem Problem konfrontiert, dass eine unscharfe Grenze zwischen InformationM und InformationE besteht. In vielen naturwissenschaftlichen Publikationen lässt sich feststellen, dass zwischen diesen beiden Konzepten hin und her gewechselt wird. Auch die Cyborg-Debatte ist von diesem Problem betroffen, etwa wenn die Vision diskutiert wird, man könne die Schnittstelle zum Internet direkt in das eigene Gehirn verlegen.
Dieser Beitrag untersucht die unscharfe Grenze zwischen InformationM und InformationE anhand des auditiven Systems. Dies aus zwei Gründen: Der Umgang mit auditiven Informationen hat eine lange Tradition im Kontext der Signalverarbeitung. In der Neurowissenschaft wiederum, wo das Schwergewicht der Anstrengungen lange Zeit dem visuellen System galten, hat die Forschung im auditiven System an Bedeutung gewonnen. Dies auch wegen der Fortschritte im Bereich der Hörgeräte-Technologie. Die Kochlea-Implantate sind die derzeit ausgereiftesten Neuro-Implantate und stehen damit exemplarisch für die Bemühungen, Technologie in das Gehirn zu integrieren.
Anhand einer historisch-begrifflichen Analyse ausgewählter Publikationen soll versucht werden aufzuzeigen, wie die Frontlinie zwischen InformationM und InformationE von der Technologie her in Richtung lebender Systeme verschoben worden ist.
KEYWORDS: Information, Neurowissenschaft, Hören, Signalverarbeitung, Cyborg.