"In einer düsteren Novembernacht". Belebungen künstlicher Menschen in der Literatur
Eva Kormann
Im Zentrum des literaturwissenschaftlichen Referats stehen fiktionale Texte des 19. Jahrhunderts über künstliche Menschen. Untersucht werden E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816), Mary Wollstonecraft Shelleys Frankenstein or The Modern Prometheus (1818) und Auguste Villiers de L'Isle-Adams L'Ève future (1886).
Das Referat geht von der These aus, daß künstliche Figuren in fiktionaler Literatur vor allem dann auftauchen, wenn ein Paradigmenwechsel in den natur- und kulturwissenschaftlichen Konzeptionen des menschlichen Lebens stattfindet. Denn gerade in einer solchen kulturellen Situation vermag die literarische Darstellung künstlicher Menschen ihre unheimliche, ihre irritiertende und faszinierende Wirkung zu erlangen. Die genannten Texte werden im Hinblick auf "Belebungen" mit folgenden Fragen analysiert:
Wie wird in diesen Texten der Akt der Belebung dargestellt, wie die Situation des Belebens geschildert und was wird aufgrund welcher Eigenschaften als "lebendig" wahrgenommen? Wie werden die Unterschiede zwischen lebenden Organismen und künstlich belebten Geschöpfen konzipiert? Welche Körperteile (etwa die Augen bei Hoffmann und Shelley), welche Eigenschaften gelten als Indiz für "natürliches" oder "künstliches" Leben? Mit welchen Denkfiguren, Metaphern und Topoi wird die Belebung und das Belebte dargestellt?
Wird den literarischen Androiden ein Bewußtsein zugeschrieben? Mit welchen Medien und Speichertechniken erwerben sie ein Bewußtsein? Die Psyche von Frankensteins Monster ist nicht denkbar, ohne die Bücher, die das Monster liest (u.a. Goethes Leiden des jungenWerther und Miltons Paradise Lost). Die künstliche Frau, die ein - fiktiver - Edison in L'Ève future konstruiert, wird als Produkt der verschiedensten photographischen und phonographischen Speichertechniken entwickelt.
Für die interdisziplinäre Debatte stellt sich die Frage, inwieweit die literarischen Konzeptionen des Lebens und der Leblosigkeit Parallelen in der (natur)philosophischen (u.a. La Mettrie, Condillac) und natur- und ingenieurwissenschaftlichen Debatte (Erasmus und Charles Darwin, Vaucanson, Jaquet-Droz, Edison) haben, inwieweit sie sich von naturwissenschaftlichen Konzepten anregen lassen oder diesen ihrerseits Denkfiguren, Metaphern und Topoi zur Verfügung stellen.