Das Überregionale Forschungsprogramm Informatik
Christine Pieper
Die Technikwissenschaft Informatik ist durch enge Verflechtungen der
gesellschaftlichen Teilsysteme Hochschule, Industrie und Staat
gekennzeichnet. Sie eignet sich für die Untersuchung des
Verwissenschaftlichungsprozesses der Technik im 20. Jahrhundert. Als
transdis-ziplinäre Wissenschaft, deren Forschungsprobleme im
außerwissenschaftlichen Bereich, vor allem in der Ökonomie und in der
Politik entstanden sind, ist die Informatik ein frühes Bei-spiel für die
Transformation der akademischen Wissensproduktion. Entscheidend für
diesen Prozess ist, dass - wie für wissenschaftsbasierte Industrien
typisch - der Wissenstransfer nicht ausschließlich von der Wissenschaft
in die Industrie verlaufen ist, sondern ein viel stärkerer Austausch
zwischen beiden gesellschaftlichen Teilsystemen zu konstatieren ist, der
die Merkmale einer "industry-based science" aufweist. Die zunehmende
Bedeutung der Industrie-forschung legt die Frage nahe, ob in der
Disziplingenese der Informatik eine zunehmende Verwischung der Grenzen
zwischen akademischer Grundlagenforschung und angewandter Forschung zu
beobachten ist.
Vor diesem Hintergrund behandelt der Vortrag die Genese des
Überregionalen Forschungs-programms Informatik (ÜRF), das im Rahmen des
2. DV-Programms der Bundesregierung (1971) verankert war. Mit dem ÜRF
war das Ziel verbunden, die Grundlagen für die neue wissenschaftliche
Disziplin "Informatik" zu erarbeiten. Kerngedanke des ÜRF war, aus
Bun-desmitteln jeweils mehrere Forschungsgruppen aus dreizehn
verschiedenen Fachgebieten an 13 bis 15 Hochschulen einzurichten. Die
Forschungsgruppen berücksichtigten einerseits die engere Informatik, die
so genannte "Kerninformatik", und andererseits die wichtigsten
DV-Anwendungsbereiche und hatten darüber hinaus den Auftrag, neben ihren
Forschungsaufga-ben auch Lehr- und Studienplatzangebote für das Fach
Informatik an den Hochschulen einzu-richten.