Matthias Heymann
Naturkatastrophen und Technikgeschichte
Seit Mitte der 1990er Jahre ist innerhalb weniger Jahre eine Welle des Interesses an Naturkatastrophen in der Geschichteforschung entstanden. Konferenzen, Sonderausgaben von Zeitschriften, Monographien (darunter sehr viele Qualifikationsarbeiten), Sammelbände und kürzlich ins Leben gerufene Forschungsnetzwerke zeugen von diesem Interesse.
Mit einem Vergleich zweier Naturkatastrophen, der Überschwemmung und Zerstörung der Nordseeinsel Strand im Jahr 1634 und der Zerstörung von Miami Beach durch einen Hurrikan im Jahr 1926 möchte ich Unterschiede im Umgang mit der natürlichen Umwelt und mit Naturgefahren zeigen, die mit der technischen Verfügung der Umwelt und der zunehmenden Veränderung von Wissen und Erfahrungen über die Natur zu tun haben. Technische Eingriffe in die Umwelt haben in beiden Fällen die Naturkatastrophen vorbereitet. Doch während sich einerseits das Ausmaß technischer Eingriffe in die natürliche Umwelt vergrößert hat, haben sich andererseits die Schuldzuschreibungen verschoben vom Menschen als Urheber hin zur Natur als unberechenbare Gefahr.
Die Analyse von Naturkatastrophen zeigt, dass eine Veränderung der technischen Verfügung der Natur gleichzeitig zu einer Veränderung von Naturerfahrung, Wissen und Deutung natürlicher Phänomene geführt hat. Der technische Wandel hat nicht nur die Umwelt des Menschen technisch überformt, er hat auch die Innenwelt des Menschen, Wissen, Erfahrungen und Mentalitäten geprägt. Extremereignisse wie Naturkatastrophen, die sich punktuell in Raum und Zeit ereignen, bieten eine Chance, derartige Verschiebungen schlaglichtartig zu beleuchten und sichtbar zu machen. Es ist zu erwarten, dass wir dabei auch über die Rolle von Technik in der Geschichte einiges erfahren können, hier also ein Forschungsfeld liegt, dass die Technikgeschichte bisher noch kaum zur Kenntnis genommen hat.