Samia Salem
Die Perspektiven der Technikgeschichte am Beispiel Gentechnik
Bereits 10 Jahre vor der Geburtsstunde der Gentechnik diskutieren führende Wissenschaftler, darunter Hermann Muller, Julian Huxley und Joshua Lederberg, auf dem Ciba-Symposium in London 1962 die Zukunft des Menschen und entwickeln dabei Visionen der zukünftigen Nutzung einer Technik, die es ermöglichen solle, gezielt in das Erbgut des Menschen einzugreifen. Im Jahre 1972 erfolgt der spektakuläre Durchbruch. Paul Berg gelingt die Verknüpfung von DNA aus zwei verschiedenen Organismen, und damit die Herstellung sog. rekombinanter DNA. Schon 1981 folgt das erste transgene Tier, ein Jahr darauf kommt ein gentechnisch hergestelltes Medikament, das menschliche Insulin, in den USA auf den Markt, 1986 wird die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen genehmigt, 1990 startet der erste Gentherapieversuch an der damals vierjährigen Ashanti de Silva, 1994 wird das erste gentechnisch veränderte Lebensmittel, die „Anti-Matsch“ Tomate, in den USA zugelassen, 1997 wird von schottischen Forschern das Klonschaf „Dolly“ präsentiert und 2000 gilt das Erbgut des Menschen als vollständig entziffert.
Begleitet wurde und wird dieser auf den ersten Blick rasante Weg der Entwicklung der Gentechnik und Molekularbiologie von zahlreichen Kritikern der verschiedensten Disziplinen, aus denen heraus Fragen aufgeworfen wurden, die vom sog. „Gen-Ingenieur“ nicht allein beantwortet werden können. Wann beginnt das Leben des Menschen oder darf sein Erbgut patentiert werden? Wenngleich die Antworten auf diese und andere Fragen zumeist aus den sie stellenden oder verwandten Disziplinen selbst gegeben werden müssen, so zeigen sie doch stellvertretend die Neuartigkeit der Dimension von Technik, deren Diskurse mehr und mehr auch in die Öffentlichkeit verlagert werden. Angesichts der Entwicklung moderner Hochtechnologien ist zu hinterfragen, ob am traditionellen Technikbegriff festgehalten werden kann? Unübersichtliche Folgewirkungen und Risikopotentiale sowie daraus resultierende Veränderungen der Durchsetzungsbedingungen technischer Innovationen belegen den tiefgreifenden Gestaltwandel der Technik. Diese Veränderungen müssen, trotz potentieller Befürchtungen, dass es für eine Betrachtung durch den Historiker noch zu früh sei, auch in der Technikgeschichte aufgegriffen werden, denn historische Einordnungen und Beurteilungen können nur mit einem Blick auf den Fluss der Gegenwart bzw. der jüngeren Vergangenheit sinnvoll erfolgen.