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MikroMakroMedium - Maßverhältnisse des Medialen

Veranstalter: Forschungskolleg 615 „Medienumbrüche“, Universität Siegen

Datum, Ort: 14.02.2008-16.02.2008, Siegen

Bericht von: Ingo Köster, Universität Siegen
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Die Nachwuchsforschertagung „MikroMakroMedium: Maßverhältnisse des Medialen“ des DFG-finanzierten Siegener Forschungskollegs 615 „Medienumbrüche“ widmete sich vom 14. bis 16. Februar 2008 mediendisziplinübergreifend ausgewählten Fragestellungen der Perspektiverweiterung bzw. -verengung, die im historischen Wandlungsprozess durch das Hinzutreten immer neuer medialer Techniken den Blick auf Zeit und Raum und damit von lebensweltlicher Erfahrung verändert haben. Um möglichst viele gedankliche Anregungen zu erhalten, war die Auslegung des Gegenstandsbereichs weit gefasst: Beispielsweise ging es darum, dass Medien wie das Mikroskop oder das Teleskop immer spezifischere Räume und Zeitintervalle verfügbar machen. Thematisch bezogene Karten eröffnen den Blick für eine neue Erfahrung des Raums, die gezielte Nutzung und Auswertung von Speichermedien mag dazu führen, im Bewusstsein des Anwenders einen differenzierteren Umgang mit Zeitrelationen zu pflegen, wozu auch die Vernetzung der Daten aus großen Archivordnungen beitragen kann. Zugleich knüpft sich an das Vorhandensein neuer Medienproduktionsstätten, Kommunikations- und Distributionsnetzwerke ein soziokultureller und -ökonomischer Wandel, der sich historisch betrachtet facettenreich äußert, beispielsweise innerhalb wissenschaftlicher Diskurse in der Hinwendung zu Vernetzungsmetaphern, in der Umstellung medienvermittelter Kommunikation auf Echtzeit oder in Veränderungen im jeweils verfügbaren Medienensemble bzw. der lokalen Infrastruktur. Derartige Veränderungen mögen nicht nur dazu beitragen, Kommunikationsweisen wie die politische öffentliche Teilhabe strukturell an die Medienlandschaft anzupassen, sondern auch Formen und Ansätze der Reflexion in der (Kultur-)Wissenschaft, den Künsten und dem Journalismus zu evozieren. So lässt sich in den einschlägigen Diskursen eine mediale Raumzeitdiagnostik beobachten, die den historischen Wandel medialer Raumzeitkonfigurationen affirmiert, kritisch begleitet oder sogar vorwegnimmt. Darin eingeschlossen ist die Frage, wie die Sozialwissenschaften heute mit den medien(r)evolutionär angestoßenen Perspektivwechseln umgehen, denn es sind insbesondere soziologische Fragestellungen, die methodisch auf den Unterschied zwischen Mikro- und Makroebene rekurrieren, z.B. auch in ihrer theoretischen Fundierung zwischen Makro-System und Mikro-Organisation.

Einführend in die Veranstaltung wies JOCHEN VENUS (Siegen) auf allgemeine wissenshistorische Bezüge hin, nach denen sich die unwiderrufliche Trennung zwischen Erscheinung und Wesen in der Begrifflichkeit von Mikro- und Makrokosmos wiederfindet. Mit der (empirisch-naturwissenschaftlichen) Erforschung der Dimensionen des unendlich Großen und unendlich Kleinen wurde nicht nur die Grundlage zur explosionsartigen Erweiterung der Wissenschaften und dem Drang nach Vermessung und Skalierung gelegt, sondern auch der Wunsch nach medialer Sichtbarmachung akzentuiert.

Im ersten Vortrag stellten HENRIETTE HEIDBRINK und JÜRGEN SORG (Siegen) einen zentralen Baustein aus den theoretischen Überlegungen zu einem strukturalistischen Analysemodell vor, das Spielfilme und Computerspiele auf ihre jeweils basalen ästhetischen sowie funktionalen Formpartikel reduziert, um sie miteinander zu vergleichen. Diese Arbeit, wie sie im Rahmen des Teilprojektes „Mediennarration und Medienspiele“ am FK 615 zur Erforschung partieller Annäherung von Narration und Spiel erfolgt, will die Trennung zwischen Mikro- und Makroperspektiven aufweichen, da sowohl die Mikro-Ebene der Zeichen als auch die Makro-Perspektive der Medienformen und -genres für sich genommen ungeeignet sind, jene ästhetischen Formelemente freizulegen, die strukturelle Ähnlichkeiten aufgrund von transmedialen Versatzstück- und Funktionslogik-Importen begründen.

SILKE ROESLER (Regensburg) näherte sich dem Verhältnis zwischen Mikro- und Makrostrukturen auf der Raumebene. Mit ihrem Streifzug durch 300 Jahre Stadtplangeschichte von New York (seit 1660) wies sie nach, wie Karten fiktive Räume kreieren. Weil kein Abbild der Wirklichkeit semantisch frei ist, und überdies viele historische Pläne herausgehobene Bezüge zu Teilaspekten der Stadtentwicklung aufweisen (spezielle Einkaufsorte, Transportsysteme, unterschiedliche Bebauungsgrade, Projektionen des Gewünschten bzw. Geplanten usw.), ist das Medium Stadtplan durchaus geeignet, Realitätswahrnehmung partiell zu steuern. Dieser Trend setzt sich auch im Zeitalter des Internets fort, beispielsweise mit dem berühmt gewordenen „Yellow-Arrow-Projekt“.

SEBASTIAN GIEßMANN (Berlin) griff den aktuellen Diskurs um und über die Netzwerkmetapher bzw. die Actor-Network-Theorie auf, um sie historisch näher zu beleuchten. Netzwerkdiagramme als Beschreibungsmittel für soziale Zusammenhänge haben ein eigenes Forschungsfeld in den 1920er- und 1930er-Jahren begründet, die Soziometrie, deren wichtigste Vertreter (speziell Jacob Levi Moreno) mit ihren Arbeiten näher vorgestellt wurden. Auch wenn die Soziometrie selbst als eigenständige Disziplin verschwand, finden sich Elemente noch heute in der Populärkultur, was der Referent am Beispiel des US-amerikanischen Spielfilms „Kinsey“ von 2004 illustrierte.

ERHARD SCHÜTTPELZ (Siegen) stellte medientheoretische Überlegungen zu Bruno Latour an, indem er an den Gedanken der Funktionalität von Papier und Zeichen anknüpfte, die im Zeitalter expandierender Herrschaftssysteme und technologischer Innovationen die globale Vorherrschaft der westlichen Zivilisationen sicherten. Mit Hilfe von Symbolen und Maßstabswechseln erlauben sämtliche Aufzeichnungsmedien auch heute, im digitalen Zeitalter, komplexe Sinnzusammenhänge sowie Vorstellungen von Realität zu vermitteln. Die Aufzeichnungssyntax lässt sich demnach als Träger begreifen, der alle mikro- und makrostrukturellen Beobachtungen (via Mikro- oder Makroskop) auf einen Maßstab zu übertragen in der Lage ist.

BARBARA HOLLENDONNER (Wien) wagte den „Blick nach Innen“ mit einer Analyse der populären US-amerikanischen Krimiserie „CSI – Crime Scene Investigation“. In den spektakulären und rasanten Kamerafahrten durch menschliche Körper kommt die Sehnsucht des Menschen nach Unmittelbarkeit der eigenen physischen Existenz und materieller Präsenz von Wahrheit, Wissen und Gewissheit zum Ausdruck. Doch das Bedürfnis wird durch die CSI-Serie letztlich nicht ausreichend befriedigt, weil das mediale Eindringen in den menschlichen Körper zweidimensional bleibt, und allein der Sehsinn des Betrachters ein wahrhaftiges Immersionsgefühl nicht aufkommen lässt, da er sui generis distanzierend wirkt.

ANNE-KATRIN WEBER (Lausanne) breitete das Feld aus, in dem Mikrokosmos und (mediale) Makrogeschichte zusammenkommen. Anhand des Beispiels einer 1878 in der englischen Satirezeitschrift „Punch“ erschienen Illustration legte die Referentin dar, dass eine teleologische Mediengeschichtsschreibung leicht Gefahr läuft, zeithistorische Prozesse, Diskurse und Innovationen verzerrt darzustellen. So ist die Karikatur weniger als eine theoretische Vorwegnahme des Fernsehens oder der Bildtelefonie zu sehen, als vielmehr ein Ausdruck ihrer Zeit, in der neben dem Stand der Technik (Telefon, Foto, frühe Projektionsmedien) auch mannigfaltige soziokulturelle Formen (britischer Kolonialismus, Konkurrenz der Erfinder Bell und Edison, Voyeurismus, Privatsphäre, Sport) verarbeitet werden.

JENS SCHRÖTER (Siegen) fragte in seinem Beitrag – gestützt auf langfristige Entwicklungen im Kunstsystem und die Actor-Network-Theorie – nach der Entstehung des Begriffs der Medienästhetik. Seine vorläufige Erkenntnis lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass im Zeitalter der Buchmedien der Abdruck von Kunstwerken eine Relativierung der Originalmaßstäbe unumgänglich machte, während im Zuge der aufkommenden Computertechnologie und -kunst erstmals deutlich wird, wie sehr der mediale Träger die Wahrnehmung eines Kunstproduktes verändert. Es wird kein Zufall sein, dass zeitgleich das Forschungsfeld der Medienästhetik zunehmend an Bedeutung gewinnt.

KATJA HOFFMANN (Köln) stellte anhand der Geschichte der Dokumenta seit 1955 die Frage, inwieweit es dem einzelnen Kunstwerk – speziell Gemälde, Fotos, Videos – im Spannungsverhältnis zwischen den thematischen Grundausrichtungen der Gesamtausstellungen und den Leitdiskursen in der Kunstgeschichte gelingen kann, seine Eigenständigkeit zu bewahren. Dabei erweist sich die kategoriale Einbettung als bisweilen erdrückend konstitutiv für die Wahrnehmung und Bewertung. Stil, Medialität und Aussage erhalten kontextuell abhängig jeweils ihr eigenes Gewicht.

FLORIAN HOOF (Bochum) beleuchtete ein interessantes Phänomen an der Schnittstelle zweier Umbruchphasen, die sich quasi zeitgleich vollzogen: dem Wandel vom paternalistischen Unternehmensführungsmodell zum modernen Management-System und dem Aufkommen des Mediums Film. Der US-amerikanische Unternehmensberater Frank B. Gilbreth führte ab 1910 mediale Verfahren in die Wirtschaft mit dem Ziel der Effizienzsteigerung bei Arbeitnehmern ein. Erst viel später fanden die Erkenntnisse zu den Einzelbewegungsschritten im Arbeitsleben Anwendung in der modernen Robotertechnik.

STEFAN FREISCHLAD und KIRSTIN SCHWIDROWSKI (Siegen) plädierten in ihrem Beitrag für ein informatisches Lehrkonzept, das es dem Anwender ermöglicht, sichtbare und nicht sichtbare Prozesse der Datenverarbeitung zu begreifen. Durch die Simulation eines virtuellen Netzes können Lernende graphisch aufbereitet Komponenten der im Hintergrund laufenden Prozesse nachvollziehen und eigene Anwendungen konstruieren. In den nachfolgenden Ausführungen ging es den beiden Referenten darum, ein Lehrkonzept und die Entwicklung einer Software auf der Basis dieser Erkenntnisse sowie unter Hinzuziehung konstruktivistischer Didaktiküberlegungen zu skizzieren.

AXEL VOLMAR (Berlin) führte in die Geschichte der Schallmessung ein, die zur Optimierung von Akustik in (abgeschlossenen) Räumen (Konzert und Theater, aber auch für Abhörmethoden) seit dem 17. Jahrhundert eine immer größere Rolle spielte, zumal mit der Planung von Aufführungsstätten enorme Kosten verbunden waren. Auch hier dienten schematische Darstellungen, Karten und – später – digitale Simulationen dazu, Vorgriffe auf zukünftige Realität zu leisten. Es zeigt sich, dass der Transfer zwischen der Darstellung von Beobachtung und den komplexen Sachverhalten, die der Beobachtung zugrunde liegen, auch hier visuell vollzogen wird.

GREGOR SCHWERING (Siegen) schlug eine neue medientheoretische Lesart basierend auf Michel Foucaults Werk „Überwachen und Strafen“ vor. Foucaults Resümee, dass es keine machtfreie Gesellschaft geben könne, weil selbst die modernen Gesellschaften trotz aller Dezentralisierung von Macht Disziplinstrukturen entwickelt haben, denen kein Mitglied vollständig entrinnen kann (‚Mikrophysik der Macht’), erweist sich graduell insofern als brüchig, da im massenmedialen Bereich, der nach der These Foucaults ebenso von Machtstrukturen durchzogen ist, partiell gegenläufige Tendenzen zu beobachten sind. Zu denken wäre hier – Marshall McLuhan zufolge – an die Umkehrung der Medienfunktion: Anstelle der Inhalte erwächst die Attraktivität des technologisch gestützten Kommunikationsprozesses aus dem Medium selbst, womit die Botschaften zum Erhalt der bestehenden Machtstrukturen weitgehend ins Leere liefen.

Zum Abschluss der Tagung vertiefte KAI SCHUBERT (Siegen) den zuvor schon behandelten Aspekt der Kartierung am Gegenstand der Navigationssysteme, einem Beispiel für die unmittelbare Verknüpfung von lokaler räumlicher Präsenz und einem den globalen Raum abdeckenden Überwachungssystem. Anhand der geschichtlichen Entwicklung des Navigierens kam der Referent zu drei Grundthesen: 1. die nicht unmittelbar vom Navigator kontrollierte Infrastruktur wird auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen, 2. der Maßstab als vom Menschen handhabbarer Modus bleibt unverändert, 3. der Navigator wird seinerseits zunehmend „interaktiver“ durch das Hinzufügen von Rückkanälen (so beispielsweise beim so genannten „Tracking“).

In den jeweiligen Diskussionen stellte sich heraus, dass die speziell in der Sozialwissenschaft, aber auch in den Naturwissenschaften geläufige Differenzierung zwischen Mikro- und Makroperspektive auch in den Medienwissenschaften zur Beschreibung von Phänomenen, Praktiken, Agenten, Funktionen und Interdependenzen ein zumeist tragfähiges Konstrukt darstellt. Verdeutlichen lassen sich auf diese Weise mediale Maßstabswechsel, soziokulturelle Kontexte des Mediums und seiner Funktionen sowie die Differenz zwischen dem Einzelmedium und dem Netzwerk. Die Verwendung der Mikro-/Makro-Differenz ist vielfältig und dehnt sich auch auf Nachbardisziplinen aus, die paradigmatisch andere Zugänge als die Kulturwissenschaft wählen. Daraus leitet sich medientheoretisch die Notwendigkeit ab, eine genaue epistemologische Begriffsbestimmung für die Mikro-/Makrokategorie vorzunehmen.

Immer wieder wurde von den Tagungsteilnehmern betont, dass trotz aller Ausdehnung in das mikroskopisch Kleine und makroskopisch Große unserer Lebenswelt die mediale Darstellung der darauf beruhenden Beobachtungen und Schlussfolgerungen stets den Maßstab der unmittelbaren Perzeption wählen. Die so geschaffene Realitätsabbildung begründet jedoch ihrerseits neue Wahrnehmungsmuster und in ihrer weiteren Folge einen (populär)kulturell angestoßenen Reflexionsprozess, wie zahlreiche Beispiele von Medienprodukten und Diskursausschnitte auf der Tagung verdeutlichen konnten.

Offen bleiben muss zunächst die Frage, inwieweit sich allgemein die Bedürfnisse der Medienrezipienten daran angleichen oder ausrichten. Eine weitere Erkenntnis der Tagung bestand darin, dass man sich den neueren Betrachtungen zum medial vermittelten Raum-/Zeitverständnis anschließen kann: Der Raum verschwindet nicht, sondern behält zunächst seine herausragende Bedeutung. Problematisch bleibt der Formbegriff, wenn er transmedial Anwendung finden soll. Gerade weil die medienwissenschaftliche Auseinandersetzung mit bisweilen gänzlich unterschiedlichen Methoden vor ebenso heterogenem disziplinärem Hintergrund erfolgt, ist vor unzureichender begrifflicher Bestimmung und unzureichend reflektiertem terminologischem Import zu warnen. Wichtige Hinweise auf Problemfelder im Kontext der Mikro-/Makrounterscheidung lieferten auch Fragen zur allgemeinen Messbarkeit medialer Funktionsreichweite sowie zu historisch erkennbaren Brüchen bzw. Kontinuitäten im Verlauf der Medienentwicklung. Freilich muss eine genauere Untersuchung derartiger Fragestellungen zukünftigen Forschungsvorhaben vorbehalten bleiben.

Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge ist in Form eines Sammelbandes vorgesehen, voraussichtlicher Erscheinungstermin: Anfang 2009.

Kontakt:
Ingo Köster
Universität Siegen
FK 615
57068 Siegen
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