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Im Zeichen des Sputnik

Internationale Konferenz zum 50. Jahrestag des ersten künstlichen Erdtrabanten

Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), Osteuropa-Institut
und Peter Szondi-Institut der Freien Universität Berlin in
Zusammenarbeit mit dem Zeiss Großplanteratium Berlin und dem
Deutsch-Russischen Museum Karlshorst

Organisation: Igor J. Polianski; Matthias Schwartz
28.09.2007-30.09.2007, Berlin

Bericht von: Lars Karl, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
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Als am 4. Oktober 1957 der erste künstliche Erdtrabant (russ. Sputnik) in seine Umlaufbahn gestartet war, rechnete selbst die politische Führung im Kreml nicht mit der enormen Wirkung, die dieser erste Satellitenstart schon bald in aller Welt entfalten sollte. Erwin Strittmatter hat diese Wirkung in seinen kurz darauf entstandenen Sputnik-Gesprächen als eine grundlegende Verschiebung der menschlichen Perspektive auf die Erde charakterisiert: „Man hat ein Loch in den Heiligen Himmel geschossen“, sagt der Genossenschaftshirte zum Pfarrer von Erwin Strittmatter, worauf der Pfarrer erwidert: „Das unheilige Raketenloch ist nicht größer als ein Erbsloch in einem Zirkuszelt.“ Der Rinderhirt belehrt ihn indes: „Trotzdem kann man durch ein Erbsloch sehen, was im Zirkus gespielt wird“. Tatsächlich markiert der Sputnikflug eine kulturhistorische Zäsur, die sowohl Kulminationspunkt längerfristiger Entwicklungen als auch Anstoß für neue Veränderungen war, deren Bedeutung weit über die unmittelbare militärtechnische und wissenschaftspolitische Brisanz des „Erbslochs“ im Himmel hinausging.

Die zum 50. Jahrestag des Sputnikfluges organisierte kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Tagung sollte sich der zitierten Episode nun erinnern, um durch das "Erbsloch" des Sputniks die durch ihn angestoßenen Verschiebungen auf der historischen Zirkusbühne des 20. Jahrhunderts interdisziplinär unter ausgewählten Aspekten näher zu beleuchten. Dies scheint angebracht zu sein, da die westliche Literatur zum „Sputnik-Schock“ sowie die entsprechenden sowjetischen und postsowjetischen Untersuchungen zur „kosmischen Ära“ bisher vor allem die wissenschaftspolitische Systemkonkurrenz des Ost-West-Konflikts in den Vordergrund gestellt haben. Der kulturgeschichtliche Paradigmenwechsel ist hingegen kaum aufgearbeitet worden, obwohl dieser eine mannigfaltige Neuordnung der Beziehungen von „Weltall – Erde – Mensch“ (so der Titel des offiziellen DDR-Geschenkbandes zur Jugendweihe) mit sich brachte. Im Hinblick auf dieses Forschungsdesiderat galt es somit nach den kultur- und sozialhistorischen Bedingungen zu fragen, die es ermöglichten, dass der Sputnik zusammen mit den nachfolgenden (bemannten) Weltraumflügen eine solch weit reichende symbolische Wirkung entfalten konnte. Zudem sollten – so die Veranstalter in ihrem Konferenzexposé – die kulturellen Aneignungen und symbolischen Transformationen des Wettlaufs zum Mond im Kontext des Kalten Krieges näher beleuchtet sowie das Interesse auf die längerfristigen Effekte und Diskursverschiebungen auf den Feldern Weltanschauung, Populärkultur, Wissenschaft, Ästhetik und Medien gerichtet werden. Diesen Fragestellungen wurde auf der Konferenz in sechs thematisch gegliederten Sektionen nachgegangen.

Der Eröffnungsvortrag „Das Tor in eine neue Dimension? Sputnik, Schock und die Popularität der Naturwissenschaften“ von ANGELA SCHWARZ (Universität Siegen) widmete sich dem Thema anhand der zeitgenössischen Publizistik in den USA. Mit dem Start des ersten künstlichen Erdtrabanten hatten Menschen erstmals das verwirklicht, was Wissenschaft und Fantasie, bunt ausgeschmückt im eigenen Genre der Science Fiction, spätestens seit der Wende ins 20. Jahrhundert in Aussicht gestellt hatten: den Vorstoß der Menschheit ins Weltall. Unter den Bedingungen der 1950er-Jahre, dominiert von den Zwängen des Kalten Krieges, wurde der Flug des „roten Mondes“ aber nicht nur mit Begeisterung quittiert. In der westlichen Welt, insbesondere in den Vereinigten Staaten, löste der Sputnik einen Schock aus, der bekanntlich in den Wettlauf der beiden Supermächte in den Weltraum mündete. Den weiteren Verlauf der abendlichen Eröffnungsveranstaltung bestimmten eine Lesung des Berliner Schriftstellers Ulrich Woelk, der sich dem auffälligen Schweigen der westdeutschen Schriftsteller zu diesem Ereignis widmete und aus seinen eigenen Werken zum Thema las, die Vorführung des offiziellen filmischen Jubiläumsbeitrags der Nachrichtenagentur RIA Novosti zum 50. Jahrestag des Sputnik-Starts sowie eine Sondervorführung in der Kuppel des Zeiss Großplanetariums.

Den Auftakt des ersten Konferenztages bildete eine Sektion, welche zunächst die kosmologische Diskursgeschichte und Ikonographie des Weltraums im 20. Jahrhundert vor allem als Vorgeschichte des Sputnikfluges in den Blickpunkt rückte. Den Kontext der weltweiten Resonanz auf die Funksignale des Sputnik bildeten schließlich nicht zuletzt kollektive Utopien, Sehnsüchte und Erlösungsmythen, die bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Entstehung einer neuen Öffentlichkeit beigetragen hatten. So legte TODD WEIR (Queen’s University Belfast) in seinem Vortrag zum „Kosmos als Weltanschauung“ dar, wie der Monismus als wissenschaftliches und gesellschaftliches Kampfprogramm entsprechende Diskussionen im Deutschland vor 1933 dominierte und auch seinen Einfluss auf die sozialistische Bewegung nicht zu verfehlen wusste. In deren ideologischen Konzeptionen verband sich „wissenschaftlicher Materialismus“ häufig mit „monistischer Weltanschauung“, die der sozialen Theorie des Marxismus somit als zweite erkenntnistheoretische Säule gegenüberstand. Im Anschluss befasste sich Safia Azzouni (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin) mit der Wirkung des Halleyschen Kometen im Jahr 1910 auf die deutschsprachigen Medien und die populärwissenschaftliche Literatur vor dem Ersten Weltkrieg. Der vorhergesagte Durchgang der Erde durch den Kometenschweif beförderte in der Öffentlichkeit zum einen das Interesse an astronomischen Fragen, zum anderen Endzeitvisionen und Weltuntergangsfurcht. Demgegenüber zeigte TOMÁS GLANC (Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen) in seinem Vortrag „Sputnik, der kleine Gegenstand. Waffe und Entwaffnung – die Semantisierung des Kosmos in der sowjetischen Rhetorik 1957-1961“ am Beispiel der sowjetischen Rezeption, wie hier an die mit dem Kosmos verbundenen utopischen Hoffnungen angeknüpft wurde. Dabei kam gerade nicht eine auf Größe, Überbietung und Überlegenheit zielende Rhetorik zum Tragen. Vielmehr beflügelte eine die Einfachheit und den Minimalismus seiner Konstruktion hervorhebende Semantik die kosmologischen Phantasien. Religion und Wissenschaft sind somit – aus unterschiedlichen Warten betrachtet – zugleich Antipoden, Korrelate und einander substituierende Größen, die sich bei der Eroberung des Kosmos zwangsläufig „offenbaren“.

Sehr viel schneller als von Beobachtern erwartet, wurde die Zukunft mit dem ebenso geheimnisvollen wie banalen „Piep-Piep-Piep“ des ersten künstlichen Erdtrabanten zur Gegenwart, indes fatalerweise unter „falschen“ geopolitischen Vorzeichen. Sputniks 92-tägige Existenz beendete eine Hochkonjunktur der Weltraumvisionen, eine silbrige Kugel von der Größe eines Basketballs verkörperte fortan die Zukunftsängste der westlichen Welt. Wissenschaft und Wissensgesellschaft im kosmischen Zeitalter bildeten so das Rahmenthema der zweiten Sektion, welche mit einem Vortrag von ALEXANDER C. T. GEPPERT (Freie Universität Berlin) eröffnet wurde. Nach Geppert stellte Sputnik I keineswegs den Anfang, sondern vielmehr das Ende des zeitgenössisch viel beschworenen „Golden Age of Space Travel“ dar, welches die permanente Kolonialisierung von Mond und Mars sowie mitunter gar regelmäßigen Kontakt mit extraterrestrischen Zivilisationen vorsah. Den vermeintlichen ‚Schock’ habe es zumindest bezogen auf Westdeutschland nicht gegeben, man könne das Ereignis aber mit Roland Barthes als ‚Realitätseffekt’ lesen, welcher einerseits eine epistemische Herausforderung ungeahnten globalen Ausmaßes markierte, andererseits der unmittelbar anschließenden Normalisierung und Instrumentalisierung der Raumfahrt auch in politisch-institutioneller Hinsicht massiven Vorschub leistete. Im Anschluss daran lieferte ANNETT JUBARA (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) eine Fallstudie zu der sich in den 1950er-Jahren in der Sowjetunion herausbildenden „Wissensgesellschaft“ und deren Angriff auf das Weltanschauungsmonopol der KPdSU. Die wissenschaftlich-spekulative Suche des sowjetischen Anthropologen Boris Poršnev nach dem Ursprung des Menschen bewegte sich zwar genau wie die offizielle Ideologie auf dem Boden des Atheismus, der Evolutionstheorie und des Evolutionismus, führte dabei jedoch zu Ergebnissen, die im Widerspruch zur offiziellen Sicht der „Menschwerdung des Affen“ standen. Nach Jubara ist es kein Zufall, dass diese Suche im Moment der Tauwetter-Liberalisierung einsetzte, als sich die sowjetische Gesellschaft mehr und mehr als „humanistische“ und „allgemein-menschliche“ zu verstehen begann und dementsprechend die Frage nach der „Natur des Menschen“ allmählich die Klassenkampf-Rhetorik der Stalin-Ära in den Hintergrund drängte. Den Abschluss der Sektion bildete der Beitrag von RÜDIGER ZILL (Einstein Forum Potsdam) mit der Überschrift „Die Erforschung der Rückseite des Mondes durch reines Denken – Kometen und Trabanten in der Philosophie“. Die philosophische Reflexion fragte zu Zeiten der Weltraum-Euphorie der 1960er-Jahre weniger nach den wissenschaftlichen oder technischen Errungenschaften, sondern vielmehr nach deren Auswirkungen auf die Lebenswelt. Der Gegenpol zu den schon zu dieser Zeit eher skeptischen Überlegungen, für die etwa Günther Anders' Buch „Der Blick vom Mond“ steht, bilden die Arbeiten von Hans Blumenberg. Nicht als Antwort auf den Sputnik, aber als Antwort auf die im Gefolge des Sputnikschocks im Westen ausbrechende Forschungshysterie begründet er die von ihm so genannte „Astronoetik“.

Die dritte Sektion war den ästhetischen Aneignungen des Weltalls und der Raumfahrt in der Sowjetunion gewidmet am Beispiel der Bildenden Kunst und des literarischen Genres der Science Fiction. INGO SCHAUERMANN (Justus-Liebig-Universität Gießen) legte in seinem Vortrag dar, wie die Sowjetunion von ihrer Gründung bis zur Auflösung von der Idee der Raumfahrt begleitet wurde. In den zwanziger Jahren entwarfen Künstler in der Sowjetunion Kosmosutopien, die nach den Flügen von Sputnik und Gagarin Jahrzehnte später Realität zu werden schienen. Die erfolgreichen Weltraumflüge seit 1957 ermöglichten es der sowjetischen Führung in der Tauwetter-Periode somit, den Personen- durch einen Kosmoskult zu ersetzen. Einen wesentlichen Anteil an der politischen Instrumentalisierung, medialen Inszenierung und affektiven Aufladung der Raumfahrt hatte das bis dato in der Sowjetunion nahezu unbedeutende Genre der Science Fiction, das sich innerhalb weniger Jahre zu einer der populärsten Literaturgattungen des Landes entwickelte. MATTHIAS SCHWARTZ (Freie Universität Berlin) beschäftigte sich in seinem Vortrag „Kosmos als Gefühl. Zur sowjetischen Science Fiction nach 1957“ mit den emotionalen Codierungen, die das Genre den Kosmosflügen gab, indem die Geschichten suggerierten, die Erschließung des Weltraums könnte auch das eigene Leben der Leser verändern. Die Weiten des Universums und die Vielzahl der kosmischen Welten wurden am Beginn einer neuen „kosmischen“ Ära imaginär in den eigenen sowjetischen Alltag integriert. Am Beispiel von Werken der Brüder Strugackij und von Ivan Efremov zeigte Schwartz, wie die Science Fiction jener Jahre die Raumfahrt mit ambivalenten Gefühlen und diffusen Bedeutungen versah, die längerfristig sowohl die emotionale Zugehörigkeit als auch die spätsowjetische Identität in einer globalisierten Welt entscheidend mit prägten.

So markierte denn auch eine Podiumsdiskussion um den Stellenwert der Raumfahrt in der deutschen Science Fiction den Abschluss und Höhepunkt des ersten Konferenztages. Obwohl die Raumfahrt zu den ältesten Elementen der Science Fiction gehört, war die Wirkung des ersten realen Raumflugkörpers, der die Erde verließ, auf dieses Genre dennoch eher gering. Einzig in den sozialistischen Ländern des Ostblocks gab es einen nennenswerten Effekt, wie der Zukunftsforscher und Science-Fiction-Autor KARLHEINZ STEINMÜLLER (Berlin) argumentierte. Im Westen waren Raketen dank der PR-Kampagnen von Wernher von Braun in den USA ohnehin schon Anfang der 1950er-Jahre ein zentrales SF-Thema, ergänzte der Politikwissenschaftler RAINER EISFELD (Osnabrück). Wesentlich größere Einschnitte für die Science Fiction in Ost und West – so der Autor und Übersetzer ERIK SIMON (Dresden) – brachten die ersten Planetensonden zur Venus und zum Mars sowie die Mondlandung der Amerikaner in den 1960er-Jahren. Mit deren Messergebnissen waren all die literarischen Utopien besiedelter Nachbarplaneten mit einem Mal erledigt, denn sie zeigten die beiden Planeten als extrem lebensfeindlich. Der Wettlauf zum Mond nach 1957 brachte dann ohnehin eine höchst paradoxe Situation mit sich: Die Realität schien sich schneller zu entwickeln als die Science Fiction. Eine neue Generation von Autoren begann schon bald darauf, das Sonnensystem zu verlassen und ihre Handlungen in ferne Galaxien zu verlegen – oder aber auf die Erde zurück zu kehren und sich wieder verstärkt den sozialen und psychologischen Problemen einer sich rasch verändernden Menschheit zu widmen.

Den Auftakt zum zweiten Tag der Konferenz bildete eine Sektion zum Stellenwert der Weltraumfahrt im Kontext der „Cold War Culture“. Für KARSTEN WERTH (Stuttgart) bestand die bemannte Raumfahrt nicht zuletzt in einem propagandistischen Schlagabtausch der Supermächte, bei dem von Anfang an den Astronauten die Hauptrolle bei der Eroberung des Weltraums zukam. Auf US-amerikanischer Seite gab dabei das Astronautenteam der „Mercury Seven“ als identitätsstiftende Heldenfiguren dem schicksalhaften Kampf an der Weltraumfront ein populäres Gesicht. John Glenn und seine Kameraden waren männlich, weiß und protestantisch, kamen aus einfachen Verhältnissen und personifizierten somit das „alte“ Idealbild vom unabhängigen Amerikaner, der als Pionier die Grenze der Zivilisation vorantreibt und so der Nation neue Bahnen bricht. Den reichhaltigen „kosmischen“ Bildwelten in der visuellen Kultur der Sowjetunion war der Beitrag von JULIA RICHERS (Universität Basel) gewidmet. Innerhalb der sowjetischen Einflusssphäre entwickelten sich Sputnik, die Hündin Lajka, Jurij Gagarin und Valentina Tereškova nicht nur in der Parteipropaganda, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung zu regelrechten Ikonen. Die Taten dieser neuen sowjetischen Helden wurden besungen, verschriftlicht und verbildlicht. Das Augenmerk von Richers lag jedoch auch auf den Techniken der Visualisierung von etwas schwer Visualisierbarem, so etwa Begriffen wie „Weltall“, „Entgrenzung“ und „Zukunft“. In diesem Kontext ist auch das spezifische sowjetische „Bilderverbot“ erwähnenswert, beispielsweise wenn es um die wirklichkeitsgetreue Darstellung von Raketen ging. Schließlich entfaltete IGOR J. POLIANSKI (ZZF Potsdam) in seinem Vortrag „Heiliger Himmel – unheilige Raketen“ ein komplexes wissenschaftsgeschichtliches Spektrum zum Sputnik- und Raumfahrtdiskurs in der DDR. Nach Polianski waren der „Herrschaftsdiskurs der Natur“ und die in dessen Mittelpunkt stehende Raumfahrtpropaganda der DDR eingespannt in ein weltanschauliches Feld miteinander konkurrierender „Wiederverzauberungsangebote“ mit verschiedener Reichweite und Anziehungskraft. Am Beispiel konkreter politischer Akteure (Walter Ulbricht, Paul Wandel), Institutionen (Kulturbund, URANIA), Rituale (Jugendweihe) und Medien (DEFA-Film) wurde hier gezeigt, wie das Projekt einer Beherrschung von Natur und Gesellschaft in der DDR permanent unterwandert wurde und letztendlich zum Scheitern verdammt war.

Neben dem kosmischen „Wettlauf zum Mond“ und der Gründung der NASA führte der Start des Sputnik auch zum medientheoretischen Paradigmenwechsel Marshall McLuhans, dessen bekannte These „The medium is the message“ durch die piepsende Metallkugel im All auf ironische Weise bestätigt zu sein schien. „Der Sputnik und der mediale Wandel“ war denn auch das Rahmenthema einer Sektion, welche mit einem Vortrag von THILO ELSNER (Sternwarte Bochum) über die Berichterstattungspflicht der Wissenschaft in der Mediengesellschaft eingeleitet wurde. Neben der Geschichte der ehemaligen „Volkssternwarte“ und ihrer Rolle als „Weltraumnachrichtenplatz“ bei der öffentlichkeitswirksamen Beobachtung des ersten künstlichen Erdtrabanten fanden hier auch zahlreiche Beispiele aus der Ausstellung „50 Jahre Sputnik - Kosmos & Kommunismus“ Erwähnung, die seit August 2007 im Radom der Sternwarte Bochum zu sehen ist. Unter der Überschrift „Sputnik und die Globalisierung des Weltbildes“ erläuterte anschließend FRANK HARTMANN (Universität Wien) die Folgen der Eroberung des Weltraums für die Wahrnehmung unseres Planeten und seiner Wissenskultur. Nach Hartmann stehen elektronische Datenbanken, Bildungsfernsehen oder das Projekt „Whole Earth“ – und auch die Medientheorie McLuhans – in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Sputnik-Schock. Im Zentrum der Betrachtung steht hier die Reorganisation von Wahrnehmungsräumen sowohl in der Perspektive einer globalen Technokultur wie in jener der weniger beachteten Tiefentechnik von weltweit vernetzten Datenbanken.

Doch der Sputnikflug verschob nicht nur die räumlichen Dimensionen und die Perspektive auf den „Blauen Planeten“, sondern auch die menschlichen Zeitvorstellungen über Vergangenheit und Zukunft der eigenen Geschichte veränderten sich, ein Aspekt, der in der letzten Sektion „Kosmos als temporale Kategorie“ in mehrfacher Hinsicht zum Tragen kam. BIRGIT MENZEL (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) widmete sich der komplexen parodistischen Verarbeitung des sowjetischen Weltraummythos in Aleksej Fedorcenkos Film „Pervye na lune“ (Die Ersten auf dem Mond) von 2005. Dieses aktuelle „Mockumentary“ stellt eine mit pseudo-historischem Filmmaterial und fiktiven Interviews dokumentierte Rekonstruktion einer sowjetischen Raumfahrtmission dar, die belegen soll, dass nicht amerikanische Astronauten, sondern eine Trojka russischer Kosmonauten bereits im Jahre 1936 erstmals auf dem Mond gelandet sei. Menzel entwickelte die These, dass dieser Film einen politisch wie auch ästhetisch komplexen Beitrag zur Aufarbeitung des Stalinismus darstellt und somit über das für die meisten westlichen „Mockumentaries“ typische unverbindliche Spiel mit primär komisch-unterhaltender Funktion weit hinaus geht. Wie LUCA DI BLASI (ICI Kulturlabor Berlin) daraufhin in seinem Vortrag „Der Kosmos als Archiv“ darlegte, ist die imaginäre Verbindung zwischen den Begriffen „Kosmos“ und „Zukunft“ wissenschaftsgeschichtlich alles andere als selbstverständlich. Im 19. Jahrhundert regte das Weltall – genau umgekehrt – als gewaltiges Archiv die zeitgenössischen Phantasien an. Felix Eberty entfaltete 1846/47 die Vorstellung des Kosmos als gewaltigem Lichtbildarchiv und Geschichtskino. Eingebettet in andere archivarische Übersteigerungen des 19. Jahrhunderts, angefangen von Charles Babbages Vorstellung der Luft als einer unzerstörbaren Schallwellen-Bibliothek bis zu Helena Petrovna Blavatskys und Rudolf Steiners „Akasha-Chronik“ wurde hier sichtbar, dass die Entwicklung von radikal-materialistischen zu spiritualistischen Entwürfen insgesamt erstaunlich geradlinig verlief. Der Vortrag von MARTIN SABROW (ZZF Potsdam) reflektierte die Bedeutung und den Wandel von Zeit-Vorstellungen in der politischen Herrschaftskultur der DDR. Die „Mobilisierung der Zeit“ im SED-Staat der 1950er-Jahre stellte nach Sabrow einen emphatischen Bruch mit der Vergangenheit sowie ein proklamiertes Bündnis mit der Zukunft dar, dessen Fortschrittsgewissheit die förmliche „Aufhebung des Heute im Morgen“ ermöglichte. Parallel zur Veralltäglichung und schließlich zur Erosion der SED-Herrschaft insgesamt lässt sich in den 1970er- und 1980er-Jahren dagegen ein signifikanter Wandel des Bildes vom Fortschritt erkennen, der sich mehr und mehr zu einem autonomen Akteur in der Systemkonkurrenz verwandelte. Zwar diente die parallele „Rückkehr der Vergangenheit“ zeitweilig als Legitimationsersatz in der politischen Kultur des SED-Staates, doch wurde die DDR somit immer mehr zu einem Ort des Stillstandes, der „Zeitlähmung“. Nicht zufällig firmierte an ihrem Ende der Grabspruch, dass vom Leben bestraft würde, wer zu spät komme.

Das dichte Programm der Konferenz fand seinen Abschluss in einer von den Veranstaltern moderierten Diskussion, in der mit Blick auf die verschiedenen Repräsentationen des Sputnik noch einmal seine mitunter höchst unterschiedlichen Semantisierungen hervorgehoben wurden. Neben der mehrfach konstatierten kulturgeschichtlichen Ambivalenz des ersten künstlichen Erdtrabanten scheint insbesondere die Leitfrage der Tagung von Bedeutung, inwiefern der Sputnikflug als zentraler Fluchtpunkt und Zäsur angesehen werden kann, mit deren Hilfe sich vielfältige diskursive Transformationen und kulturelle Wandlungsprozesse analysieren lassen. Insgesamt boten die Tagungsbeiträge einen umfassenden, äußerst differenzierten und vielschichtigen Einblick in aktuelle Forschungsprojekte, der eine Vielzahl an neuen inter- disziplinären, komparatistischen und transnationalen Untersuchungsfeldern eröffnet. Daher bleibt zu hoffen, dass die von den Organisatoren angestrebte Publikation ihre zeitnahe Umsetzung erfährt.