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Walzen: Technik- und kulturgeschichtliche Aspekte in Geschichte und Gegenwart

Zur 29. Technikgeschichtlichen Tagung der Eisenbibliothek am 3. und 4. November 2006 im Klostergut Paradies:

Walzen: Technik- und kulturgeschichtliche Aspekte in Geschichte und Gegenwart.
Zusammenfassung und Ausblick.

Prof. Dr. phil. Wolfhard Weber

Die Vorträge lassen sich in zwei grundsätzlich unterschiedlichen Sichtweisen der Problematik von Walzen oder von Walzwerken und ihrer Entwicklung gliedern: einmal die Walzanlagen, die eine Fülle technischer und zunehmend technikwissenschaftlicher Kompetenz banden, und zum anderen die Darlegungen dieser Eindrücke von Künstlern, die solche im Arbeitsvollzug stehenden Walzeinrichtungen „verarbeiten“, und zwar auf zweierlei Art und Weise:

Einmal aus der Sicht der Giganten, welche die Formgebung durch Walzen (mit Hilfe von Dampfmaschinen) gegenüber dem Wasserantrieb (und dem Schmieden) möglich machten und damit zugleich Visionen und Erfahrungsfelder in der Gesellschaft, z.B. im Eisenbahn- und Schiffsverkehr. Sie hoben Produkte dieser Walzwerke für das Leben in einer industriellen Ge­sellschaft positiv hervor, auch indem sie die (unmittelbar an den Gerüsten arbeitenden) Men­schen in ihrer Kleinheit und Unbedeutendheit im Prozess dokumentierten; und auf der ande­ren Seite mitleidend mit der Kreatur Mensch diejenigen Arbeiter, deren schwere Arbeitsvoll­züge noch nicht rationalisiert waren und die oft deswegen mit dem Ende des Walzwerks die Arbeitslosigkeit oder Rente erreichten.

Der Einstieg in die technikhistorische Problematik des Walzens durch Paul Josef Mauk führte zunächst über eine systematische Einleitung in die Umformverfahren durch Walzen, soweit sie in DIN-Formaten festgelegt waren, aber auch darüber hinaus. Der historische Abschnitt, der sich auf die Zeit vor der Industrialisierung konzentrieren sollte, berührte in der Länge die Skizzen Leonardos in seinen Codices. Die Problematik dieser ausführlichen Erwähnung be­stand darin, dass Leonardo nicht als historische Persönlichkeit, sondern als Referenz- und Fix­punkt der Renaissance und damit als „Genie“ für die Walztechnik in Anspruch genommen wurde, eine Rolle, für die er sicherlich so absolut nicht mehr stehen kann.[1]

In der weiteren Diskussion blieb die Entwicklung des Walzwesens im 16. und 17. Jh. relativ schmal, obwohl – wie in der Diskussion von Herrn Benad-Wagenhoff erwähnt – die aus der Antike bekannte Technik des Goldwalzens nun immer weiter verfeinert und ausgebreitet wurde.

In der Entwicklung der Walze von einem großen Handwerkszeug zu einer Maschine blieben in den Überblicksvorträgen einige Punkte zu undeutlich: Mit einem Walzmaterial, das nur we­nig widerstandsfähiger als das Werkzeugmaterial war, kann nur mäßig umgeformt werden; Pioniere wie Polhem (um 1700) für die Eisenspalterei oder auch Cort (um 1800) mit seinem „Puddelstahl“ konnten daran zunächst wenig ändern, und – wie auch Akos Paulinyi erläuterte – das gewalzte Eisen blieb für die Mehrheit der potentiellen Nutzer ein ungemein teures Pro­dukt, dessen Ergebnis Blech von Schmieden noch weitgehender (angepasster) und billiger hergestellt werden konnte. Abbildungen von Walzen selbst aus dem 18. Jh. Sagen daher we­nig über deren Brauchbarkeit als Maschine aus. Der Übergang von den Anfängen der In­dustrialisierung (im Textilbereich und im Maschinenbau) zum Einsatz der in bemerkens­werten Mengen produzierten Walzanlagen dauerte sehr lange an heutigen Zeiträumen gemes­sen – sicherlich bis in die Mitte des 19. Jh., als Bessemerstahl die Qualitäts – und Kostenfrage entspannte. Auch das Schwungrad, das mit der Dampfmaschine bald zum Einsatz kam, konn­te die Defizite der Dampfmaschine im Drehmoment nicht wirklich ausgleichen.

Weniger berührt und erläutert blieb auch die zunehmende Arbeit der Spezialisten (oder Werk­zeugmacher) für das Walzwerk, wie überhaupt die Ausstattungen dieser Maschinenbauwerk­stätten in der Historiographie kaum aufgearbeitet sind; dies gilt ebenso für die Frage der Kraftübertragung zwischen den Walzen durch Zahnräder.

Die Beobachtungen der Arbeit an der Walze, das mühsame Einstecken in den Walzspalt und das Umsetzen für den nächsten Walzgang blieben in den Analysen noch zu unbestimmt. Da die Morphologie des (Universal-)Walzwerks in England seit Anfang des 19. Jh. patentiert war, hielten sich die kontinentalen Folgestaaten der Industrialisierung meist nicht an diese Re­gelung, sondern verfolgten wie auch in Preußen zunächst eine Politik der offenen Nachbau­ten. So ließ Rainer Daelen seinen Vorschlag zu einem Universalwalzwerk auch gar nicht pa­tentieren, sondern publizierte darüber in verschiedenen Journalen bzw. ließ darüber publizie­ren, was den Schluss nahe legt, dass der Kernpunkt einer solchen Walze gerade nicht in seiner Morphologie, sondern in anderen Handhabungs“details“ gelegen haben könnte. Den vielge­staltigen Entwicklungsvorgang bei der Kombination der Walzen zu einer Maschine zeigte Ulrich Troitzsch am Beispiel Daelens und seines Universalwalzwerks, das auch die Ränder walzte und auf diese Weise die Bandform des Walzgutes bewahrte. Daelen und wohl auch weitere daran beteiligte Verwandte knüpften an die ihnen bekannte makrotechnische Struktur des Walzwerks an und verbesserten die Einstellungen am Walzwerk aus einem „dichten“ Er­fahrungshorizont heraus.

Als der Technisierungsschub der Elektrifizierung (Elektrotechnik) zu Beginn des 20. Jh. auf die Antriebsmaschinen im Walzwerk übergriff, sank der Zeitaufwand für das Umsteuern und damit die Bearbeitungszeit für ein Werkstück erheblich; ebenso galt das für die Wartezeiten für das (Auf-)Wärmen, worauf Helmut Lackner hinwies. Dieses war ein umso bedeutenderer Schritt, als die Rationalisierung der Produktion bereits ein Jahrzehnt zuvor von der „anderen“ Seite, den Abnehmern her, in Deutschland begonnen hatte, als nämlich Eisenbahnverwal­tungen und Bauingenieure/Architekten sich auf bestimmte Schienen- und Profiltypen verstän­digt hatten, die nun in größeren Quantitäten und mit geringerem Werkzeugaufwand herge­stellt werden konnten.

Ein wie umfangreiches Sortiment und eine wie weitgreifende Variabilität die Profile beim Brücken- und Hochbau des späten 19. Jh. zuließen, ließ sich am Beitrag von Michael Mende studieren, der die Verwendung von geschmiedetem Eisen in der Antike und der Renaissance und von gewalztem Eisen im 19. Jh. gerade bei Hängebrücken sowohl in England wie in Deutschland sichtbar machte.

Zwei Beiträge machten dann deutlich, wie sehr die vorhandene Walzwerktechnologie auf Spezialgebieten sehr erfolgreich ausgebaut werden konnte, und zwar auf jeweils ganz unter­schiedlicher Basis:

Das erste Beispiel bezog sich auf die Herstellung nahtloser Rohre, die ihren Ausgangspunkt bei der Beobachtung machten, dass ein von zwei Außenseiten gewalzter Block im Innern eine Entdichtung des Materials der Stahlmasse zur Folge hatte. Die hier in vielen Jahren durch die Brüder Mannesmann vorangetrieben, in hohem Maße empirischen Entwicklungsarbeiten brachten nicht nur das Pilgerschrittverfahren voran, wie Horst A. Wessel erläuterte, er er­schloss auch einen nun durch geringe Transportverluste für Gase und Erdöle beförderten riesi­gen Kapitalmarkt, der auf die Ausbeutung der Weltrohstoffvorräte zugunsten der Industriena­tionen setzte.

Als zweites Beispiel stellte Manfred Rasch den bau der ersten Warmbreitbandstraße in Dins­laken 1935/37 vor. Ausgangspunkt der Vereinigten Stahlwerke AG (VSt) bzw. ihres General­direktors Vögler, hier an der Grenze zum Nachbarland Niederlande eine solche Anlage zu bauen, waren ebenfalls Abnehmergesichtspunkte wie eine Generation zuvor beim Rohr­walzen; freilich gelangten Autobleche, wie in den USA, nicht zur Herstellung; vielmehr scheinen die VSt trotz der erheblichen Kapitalknappheit auf dem deutschen Markt (oder ge­rade deswegen) eher Exportgesichtspunkte (Weißblech) als solche der Rüstung im Blick ge­habt zu haben. Zur Produktionsaufnahme dieser Bleche ist es freilich nach 1939 nicht gekom­men.

Den bedeutendsten Technologieschub des späten 20. Jh. stellt der Einsatz elektronischer Ele­mente in den Forschungs- und Produktionsprozess dar. Über die Anfänge der aus dem um­fangreichen Einsatz der Elektronik sich ergebenden Produktionsvorteile berichtete dann Jür­gen Heidepriem als Zeitzeuge. Er beleuchtete die Anfänge der Prozessleittechnik im Bo­chumer Verein, beim Phoenix in Hörde/Dortmund und bei Thyssen in Beekerwerth/Duisburg 1962/63, alle mit importierten Rechnern mit aus heutiger Sicht ausgesprochen geringer Speicherkapazität, aber mit nur einjähriger Verzögerung hinter den USA. Das Schwergewicht lag auf der raschen Berechnung des Stichplans für das Walzgut (z.B. Brammen), der u.a. auch die unterschiedliche Belastung der Walzen durch das Walzgut berechnen sollte, eine Neue­rung, die zwar das Walzen nicht sonderlich beschleunigte, aber eine neue Technologiekom­ponente von Anfang an in Deutschland hielt, die den krisenhaften Einbruch von 1974 wo­möglich rascher überwinden half, als es ohne sie geschehen wäre, und die den Anfang des En­des der Qualitätskompetenz der Walzarbeiter einleitete, freilich mit einem noch langen Weg bis zur heutigen Situation.

Walter Krämer ging dann auf die jüngere Entwicklung des Drahtwalzens bei der von Moos AG ein, welche di Anwendung elektronischer Sensoren und Steuerungen einschloss. Der durch hohe und höchste Geschwindigkeiten ermöglichte Durchgang des Walzgutes (bis zu 150 m/sec, also etwa 500 km/h) in einem Zug, beobachtet von Temperatursensoren und Ma­terialkontrollen und mit äußerst exakter Walzgutführung in einem Endlossystem, brachte die notwendigen Produktivitätsvorteile gegenüber anderen Produktionsstandorten außerhalb der Schweiz, zusätzlich begleitet von der Nähe der Verbraucher, über die das Auditorium weniger erfuhr. Ferner erläuterte Günter Kneppe von der SMS Demag, welchen Weg die Integration von Gießen und Walzen (Gießwalzen ab 1989) schon genommen hat und in welche Richtung (Dünnbrammengießen) sie sich weiterentwickeln wird; mit Hilfe der elektronisch basierten Kontroll- und Steuerungseinrichtungen können heute Gießen und Walzen so zusammenge­führt werden, dass erstens die Länge der Produktionshalle von 600 (1955) auf (heute) 70 Me­ter schrumpfte und zweitens das Walzgut in einem Zug bis auf 2 mm heruntergewalzt werden kann, eine noch vor einer Generation unvorstellbare Leistungsverrichtung beim Walzen aus einer Hitze. Damit unterliegt die Kontrolle vor Ort heute nicht mehr in erster Linie der unmit­telbaren Qualitätsanweisung durch Walz- und Gießmeister, sondern ist in die Expertise der Software-Kontrolleure hinübergewandert, die mit Hilfe der Elektronik Produktionsinnovatio­nen innerhalb von drei Jahren zustanden Bringen! Diese Entwicklung scheint sich auch fort­zusetzen, wenn auch die an die Bandherstellung unmittelbar anschließenden weiteren Verar­beitungsschritte, Glühen, Beizen oder Verzinken, noch integriert werden.

Eine geringere, wenngleich nicht weniger eindrucksvolle Zahl von Beiträgen wandte sich der Wahrnehmung von Walzwerken durch Besucher bzw. Künstler zu. In unterschiedlicher Herangehensweise näherten sie sich dem Thema „Mensch und Arbeit“ vor der Kulisse eines Walzwerks.

Manfred Vollmer hatte dazu eine ganze Serie digital geschossener Fotos zusammengestellt, die sich weniger mit der aufstrebenden Begeisterung über die Leistungsfähigkeit beschäftigte, als eher den Abschied von Arbeitern am Ende ihres Arbeitslebens oder ihrer Tätigkeit an einer Walzstrecke dokumentierte, wie sie im Ruhrgebiet oder in anderen Altindustriegebieten in den vergangenen 30 Jahren häufig zu finden waren. Der Blick 8in die neuen, leistungs­fähigeren Walzwerke, bei denen nicht die zyklopische Gestaltung, sondern ihre maschinen­wissenschaftliche Durchgestaltung prägnant ins Auge sprang, fiel dahinter zurück; ebenso mag die moderne Ummantelung der Maschinerie den Blick auf die innovativen Prozesse hin­ter den Kulissen verstellt haben.

Ganz andere Gefühle lagen den Gemälden zugrunde, die Klaus Türk in seiner umfangreichen Sammlung von Gemälden zur Geschichte der Arbeit aus dem 18. bis 20. Jh. zusammengestellt hatte. In ihnen ist oft ein industrieller Fortschrittsstolz spürbar, der auch dann noch durch­dringt, wenn surrealistische Sichtweisen die Gegenstände selbst aufgelöst hatten.

Der Bericht von Stephan Hauser über das von Menzel geschaffene Großbild „Eisenwalzwerk“ 1872/75 präsentierte dieses Sammelbild über den Arbeitsrhythmus von Walzarbeitern in einem eher traditionell handwerklich ausgerichteten Werk, in dem die Glut des Eisens und die Dampfmaschine über die Walze, aber ansonsten keine Maschine den Rhythmus der Arbeit bestimmte, sondern Meister, Aufseher und Eigenerfahrungen der oft aus der Landwirtschaft stammenden Arbeiter. Eher stellt es das Moment der Körperlichen Anstrengungen der Arbei­ter in den Mittelpunkt. Das hierin zum Ausdruck kommende neue Zeitgefühl des Heroischen nach Gründung des Deutschen Kaiserreiches rückte weniger die Waffen als vielmehr ihre Vorprodukte in den Mittelpunkt der Betrachtung und zeigt – typisch für Menzel – auch den Beitrag des „kleinen“ Mannes, des bislang verachteten und verdreckten Schmieds – nun Walzers – an diesem gemeinsamen Werk des auf Industrie zu gründenden Staates.


Text erstmals erschienen in: Ferrum : Nachrichten aus der Eisenbibliothek, Stiftung der Georg Fischer AG. - Schlatt : Eisenbibl., 79 (2007), S. 133-135.


[1] Verwiesen sei auf die ausführliche Darstellung der Maschinenbücher und der mittelalterlichen Mechanik bei Dietrich Lohrmann, u.a.: Konrad Gruber von Werden. De machinis et rebus mechanicis. Bd. 1, Vatikan 2006, S.9-57.