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Natur und Umwelt in Deutschland

Wohin geht die Umweltgeschichte?

Tagungsbericht zur Tagung "Natur und Umwelt in Deutschland", Freiburg, 1.-3. November 2002

von Matthias Heymann, München

Die Umweltgeschichte hat im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren wachsende Aufmerksamkeit gefunden. Das zeigte sich auch bei der Tagung über die Umweltgeschichte nach 1945, die Franz-Josef Brüggemeier und Jens Ivo Engels Anfang November in Freiburg veranstaltet haben. Die Tagung stieß auf großes Interesse und kam zu überraschenden und überraschend deutlichen Ergebnissen. In 15 Papieren und Referaten, 5 Kommentaren, 3 längeren Vorträgen und einer Abschlussdiskussion schälten sich als Themenschwerpunkt der Umweltgeschichte nach 1945 die Frage nach einer Epochenschwelle in den 1970er Jahren und als heute dominierender historiografischer Zugang Umweltgeschichte als Kulturgeschichte heraus.

Beiträge von Jens Ivo Engels, Kai Hünemörder, Christopher Kopper, Patrick Kupper, Andrea Westermann, Anna Wöbse und anderen wiesen auf verschiedene Facetten der Veränderung in den frühen 70er Jahren hin, die den Eindruck einer Epochenschwelle in diesem Zeitraum verdichten. Frank Uekötter machte hingegen auf die Gefahr einer historiografischen Überbewertung dieser Schwelle aufmerksam, da sich bereits in den 1950er und 60er Jahren ähnliche, aber kaum beachtete Formen des Umweltinteresses artikulierten wie nach 1970.

Der historiografische Zugang der überwiegenden Zahl der Beiträge konzentrierte sich auf kulturhistorische Fragestellungen wie beispielsweise die Veränderungen der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Deutung von Technologien und Umweltphänomenen sowie die Veränderung von Selbstdarstellungen, Inszenierungen und politischen Verhaltensstilen von Naturschutzverbänden. Im Vordergrund standen somit Bemühungen, sich den "Subtexten" der Umweltdiskurse zuzuwenden, wie Franz-Josef Brüggemeier es formulierte. Dazu seien einige Beispiele erwähnt.

Patrick Kupper zeigte, dass der Schweizer Naturschutzbund die Rolle der Kernenergie innerhalb weniger Jahre trotz unveränderter Wissensbestände radikal umdeutete. Kai Hünemörder wies auf eine 1969 in verschiedenen Ländern plötzlich entstandene Welle des Interesses an Zukunftsforschung und Futurologie in populären Zeitungen hin. Anna Wöbse behandelte die Veränderung der visuellen Darstellungen von Umweltproblemen durch Naturschutzverbände, die sich auf "Schönheits-" und "Schadensbilder" beschränkten, bis Greenpeace in den 70er Jahren die Inszenierung von "Aktionsbildern" erfand.

Albrecht Weisker behandelte mentale und emotionale Aspekte wie Technikvertrauen und Apokalypseangst in der westdeutschen Kernenergiegeschichte. Thomas Dannenbaum versuchte die Heftigkeit der Kernenergiekonflikte in den 70er Jahren durch divergierende Perzeptionen und falsche Wahrnehmungen des politischen Gegners historisch zu deuten. Stefan Körner und Wolfram Höfer behandelten die Bemühungen der Landschaftsplanung, Natur und Industrie als Symbol- und Sinnträger zu interpretieren und gestalterisch zu fördern.

Es spricht für die große Dominanz kulturhistorischer Interessen, dass nur ein einziger Beitrag (zur Luftverschmutzung und den gesellschaftlichen Bemühungen um eine Bewältigung dieses Problems) sich noch mit einem Umweltproblem befasste. Deutlich wurde seitens der Mehrheit der Teilnehmer eine große Skepsis in Hinsicht auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und vermeintlich „harte“ Daten. Die Umweltproblematik wurde nicht – wie in den Anfängen der Umweltgeschichte – als ein Lösungen erforderndes gesellschaftliches Problem, sondern als ein von Interessen geleitetes Deutungsmuster gesellschaftlicher Gruppen betrachtet und verhandelt. In dieser Entwicklung dürfte gleichermaßen eine Verschiebung der Forschungsinteressen wie eine Professionalisierung der methodischen Zugriffe zu sehen sein.

Es fragt sich somit, ob die derzeitige Umweltgeschichte im deutschsprachigen Raum nur für die "Subtexte" der Umweltdiskurse Interesse und die "Texte" bereits beiseite gelegt hat und ob mit dieser Schwerpunktverlagerung Erkenntnis- und Aufklärungspotentiale aufgegeben werden. Der politische Anspruch, der die Entstehung der Umweltgeschichte in den 80er Jahren begleitete, scheint weitgehend verloren zu sein. So warf Axel Schildt in der Abschlussdiskussion die Frage auf, ob die Umweltgeschichte einen aufklärerischen Anspruch vertreten will und worin dieser Anspruch bestehen könnte. Eine Beantwortung dieser Frage musste vorerst offen und sollte weiteren Tagungen vorbehalten bleiben.