Stefan Albrecht
Wandel in der Kommunikation von Entwicklungen des Überschallverkehrs diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhanges“
Seit Mitte der 1950er Jahre überlegten Ingenieure und Manager von Fluggesellschaften laut, ob
und wann Passagiere und Frachten schneller als der Schall von Ort zu Ort fliegen würden.
Konkrete Ziele und Zeithorizonte wurden genannt: Bereits 1970 plante man, den
Überschallverkehr mit Flugzeugen aufzunehmen, deren Passagierkapazitäten die der
vorhandenen Typen weitaus übertreffen sollten. Wie wir heute wissen, war dann allerdings 1976
die französisch-britische Concorde das einzige Überschall-Passagierflugzeug, das je den
Liniendienst aufnahm. Damals hatte sich aber bereits unter dem Eindruck u. a. von Ölkrise und
zunehmender Umweltverschmutzung das euphorische Zeitalter technischer Utopien gelegt und
einer größeren Skepsis gegenüber dem Überschallflug Platz gemacht. Nicht zuletzt daran
scheiterten die Hoffnungen, die Air France und British Airways in die Concorde gesetzt hatten.
Die gleiche Entwicklung ist nicht nur in der westlichen Hemisphäre, sondern auch in den
„Ländern des sozialistischen Lagers“ zu beobachten gewesen – zumindest was den zeitlichen
Rahmen und das Scheitern des Projekts betrifft. Auch in der Sowjetunion baute man an einem
Überschallflugzeug. Den ersten Entwurf präsentierte sie der Weltöffentlichkeit 1965 in Paris, wo
die TU 144 aufgrund ihrer großen Ähnlichkeiten mit der Concorde von den Leitartiklern ihrer
Zeit den Spitznamen Concordski erhielt. Sie ging 1977 für den Passagierdienst zwischen Moskau
und Alma-Ata in Dienst, 1984 bestätigte die Aeroflot, sie habe das Flugzeug außer Dienst
gestellt.
An dieser Stelle soll die Frage interessieren, wie über Überschallverkehr in den einschlägigen
populären Zeitschriften in West und Ost berichtet wurde, etwa in der bundesdeutschen Flug-
Revue und der tschechoslowakischen K_idla vlasti [Flügel der Heimat]. In beiden Organen findet
man mitunter ausführliche Nachrichten über Überschallflugzeuge, vor allem über die Projekte
von Boeing und die Concorde. Die TU-144 tritt dahinter übrigens auffällig zurück.
Glichen sich die Berichterstattungen zu Beginn der Überschall-Ära über den Eisernen Vorhang
hinweg, in einer Zeit, in der man auf beiden Seiten davon ausging, dass technisch alles machbar
sei? Auf beiden Seiten, so scheint es, hielt man die Überschallflugzeuge nur für den Anfang einer
Entwicklung von immer höheren Geschwindigkeiten im Passagierverkehr. Interkontinental-
Passagierrakten und Atomflugzeuge wurden ernsthaft in den einschlägigen Journalen aber auch
in Schulfilmen in Erwägung gezogen.
Änderte sich die Berichterstattung in den 1970er Jahren unter dem Eindruck der Ölkrise und des
neuen Umweltbewusstseins? Gerade hier sollte man Unterschiede erwarten, da gerade
Umweltprobleme in den sozialistischen Staaten oft verschwiegen und jede Diskussion darüber
unterdrückt wurden. Und schließlich: Wo war der Kalte Krieg in der Überschalltechnik? Dass
dieser Bereich mit starken national- und machtpolitischen Emotionen aufgeladen war, hat vor
einiger Zeit für die britisch-französisch-amerikanischen Beziehungen Kenneth Owen gezeigt
(Concorde and the Americans. International Politics of the Supersonic Transport. Washington,
London 1997). Ähnliches ist für den Systemgegensatz zwischen Ost und West zu vermuten, denn
gerade im technischen Bereich sollten sich die Vorzüge des eigenen Systems bemerkbar machen.
Daher legten westliche Autoren Wert darauf, dass die sowjetische Technologie altertümlich sei,
wenn sie aber doch fortschrittlich war, dann hielten sie dies für ein Ergebnis sowjetischer
Spionage. Östliche Autoren dagegen erwarteten, dass der Wettbewerb zwischen Frankreich,
Großbritannien und den USA ruinös werde und dass letztlich die Sicherheit der Passagiere
zugunsten rascher Gewinne vernachlässigt werde. Die sowjetische Technologie hingegen werde
als Sieger hervorgehen.