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Torger Möller

Zum Verhältnis von wissenschaftlichem und populärem Wissen vor dem
Hintergrund technischer Neuerungen am Beispiel der Epilepsie

Mit der Einführung des Elektroenzephalogramms in die klinische Praxis in Deutschland nach
dem zweiten Weltkrieg geht ein tief greifender Prozess der Veränderung der Krankheit Epilepsie
einher, die nicht nur innerwissenschaftlich, sondern auch hinsichtlich einer veränderten
Kommunikation mit der Öffentlichkeit von ausschlaggebender Bedeutung ist. In
wissenschaftlicher Hinsicht wird aus der bislang psychiatrischen (Geistes-)Krankheit eine
neurologische Gehirnerkrankung, die sich in als pathologisch markierten Kurvenverläufen
widerspiegelt. Die medizinische Zuständigkeit verschiebt sich unter dem Einfluss der neuen
Technik von der Psychiatrie in die Neurologie.

Insbesondere ab den 1960er und 70er Jahren lässt sich eine Veränderung in der öffentlichen
Kommunikation über die Krankheit beobachten. Während vom Ende des 19. Jahrhunderts bis
weit ins 20. Jahrhundert hinein Epilepsie als eine Geistes- und Erbkrankheit galt und dieses Bild
sich auch außerhalb der medizinischen Wissenschaft verbreitete, wird nun dieses in der
Öffentlichkeit etablierte Bild in den 1960er Jahren als Vorurteil markiert und verurteilt. Erst das
Auftauchen der neuen Technik der Enzephalographie führt dabei zu der Situation, dass wir es mit
zwei in unterschiedlichen historischen Zeiten generierten Wissensformen zu tun haben, die sich
nun quasi gegenüberstehen. Dabei ist der Ort des ersten Bildes (Epilepsie als Geisteskrankheit)
durch die jahrzehntelange Popularisierung psychiatrischen Wissens nun vor allem die
Bevölkerung und die allgemeine Öffentlichkeit. Demgegenüber findet sich das zweite Bild
(Epilepsie als neurologische Gehirnerkrankung mit pathologischen Kurvenverläufen) in der
Neurologie wieder. Anhand des Fallbeispiels kann gezeigt werden, welche Funktion der Begriff
des „Vorurteils“ als wissenspolitischer Kampfbegriff in Auseinandersetzungen zwischen
Wissenschaft und Öffentlichkeit spielt und warum sozialpsychologische Erklärungsmodelle eine
Delegitimierung medizinwissenschaftlicher Wissensbestände verhindern. Der Betrag
wissenschafts- und technikgeschichtlicher Forschung ist dabei die Offenlegung historischer
Zusammenhänge und der Wege der Wissensdiffusion zwischen wissenschaftlichem und
populärem Wissen.